Vom regionalen Konflikt zum geopolitischen Game-Changer
- Was als begrenzte ‚militärische Spezialoperation‘ Russlands in der Ukraine begann, hat sich unter Beteiligung der Großmächte in einen bereits 18 Monate dauernden mehrdimensionalen Krieg verwandelt. Es handelt sich gleichzeitig und miteinander verschränkt um einen Bürgerkrieg, einen russisch-ukrainischen Regionalkonflikt mit dem Donbass im Zentrum, einen militärischen, wirtschaftlichen und medialen Stellvertreterkrieg der NATO zur Vernichtung Russlands als geopolitische Macht und schließlich eine weltweite systemische-cum-hegemoniale Auseinandersetzung des kollektiven Westens unter Führung der USA gegen die Schwellenländer des globalen Südens, allen voran China, um die zukünftige Weltordnung.[1]
- Nicht Kiew, die NATO mit den USA an der Spitze ist die eigentliche Kriegspartei, wie die massiven steigenden Transfers von Waffen[2] und Finanzmitteln[3] sowie der Abbruch der erfolgversprechenden russisch-ukrainischen Istanbuler Verhandlungen Ende März 2022 auf angelsächsischen Druck hin beweisen. Sie bestimmen auch Zeitpunkt und Ziel eventueller Friedensverhandlungen.[4]
- Die Ukraine selbst steht am Abgrund: die seit Juni laufende Großoffensive ist gescheitert. Lediglich 260 von insgesamt 100.000 qkm verlorenen Terrains wurden zurückgewonnen. Die soldatischen Personalressourcen sind erschöpft.[5] Die Bevölkerung ist traumatisiert und polarisiert. Mag die Zahl der zu Tode gekommenen Zivilisten der UNO zufolge bis heute mit 9.511 gering sein, 8 Millionen Menschen haben das Land, die meisten auf Dauer, verlassen. Hinzu kommen über 5 Millionen Binnenflüchtlinge.[6] Seit seiner Unabhängigkeit 1991 ist die Gesamteinwohnerzahl von 52 stetig auf 37 Mio. geschrumpft.[7] Die Infrastruktur ist zerstört, seine Wirtschaftskraft um 30% gesunken, allein die Kosten des Wiederaufbaus werden auf 450 Mrd. geschätzt.[8]
- Neben der Ukraine gehört die EU, vor allem Deutschland, geopolitisch und wirtschaftlich zu den großen Verlierern dieses Krieges. Politisch eigentätig zu Vasallen der USA degradiert, haben sie sich auch wirtschaftlich in deren Abhängigkeit begeben. Die Handelsbeziehungen nach Russland und dem weiteren Eurasien, Grundlage ihres Wohlstands und ihrer Wettbewerbsfähigkeit, werden gekappt.
- Kurzfristig erscheint der kollektive Westen unter Führung der hegemonialen USA angesichts von transatlantischem Schulterschluss gegen Russland sowie seiner anti-chinesischen Militärallianzen mit Japan und Südkorea, Australien und Neuseeland gestärkt. Längerfristig hat er jedoch den Niedergang seiner 500-jährigen Vorherrschaft durch seine arbiträre, völkerrechtswidrige Politik der Sanktionen beschleunigt. Gewinner ist der globale Süden, repräsentiert durch die BRICS (und die Schanghai Organisation für Zusammenarbeit (SOZ)), in denen neben China und Indien auch Russland vertreten ist. Sie teilen das westliche Narrativ vom aggressiven Russland nicht, beteiligen sich nicht an dessen Sanktionen und arbeiten an einer De-Dollarisierung ihres Handels. Beide, BRICS wie SOZ, verzeichnen jüngst eine wachsende Zahl von Mitgliedern bzw. Beitrittsanträgen.[9]
- Krieg und konfrontative Blockbildung haben weltweit zu Aufrüstung und Nahrungs- und Energiekrisen sowie steigenden Kreditzinsen, Inflation und Verschuldung zu Lasten von Entwicklung und ökologischer Transformation geführt. Zugleich wurden soziale Ungleichheit, Nationalismus im Verbund mit Militarismus, Abbau politischer Rechte und bürgerlicher Freiheiten verschärft und legitimiert. Im Ergebnis werden die materiellen Grundlagen der historischen Zivilisation global weiter unwiderruflich geschädigt.
Vor diesem Hintergrund ist der Ukraine-Konflikt objektiv ein geopolitischer Game-Changer: Kriegsursachen und Ziele der Konfliktparteien werden hinterfragt, Aussichten und Strategien seiner Beendigung diskutiert.
Ursachen, Ziele und aktueller Stand
Schon länger zeichnet sich eine Niederlage der Ukraine in ihrem Krieg gegen Russland ab. Ohne einen direkten Kriegseintritt der NATO werden auch weitere westliche Waffenlieferungen keine Wende des Krieges herbeiführen.[10] Angesichts eines ungewinnbaren vorhersehbar langjährigen Abnutzungs- und Stellungskriegs zeichnet sich ein Strategiewechsel durch Kiew ab: mit Hilfe westlicher Kampfflugzeuge und modernsten Raketen soll die russische Luftüberlegenheit gebrochen, der Krieg durch Angriffe auf zentrale Militäreinrichtungen und sogar Moskau nach Russland selbst hineingetragen werden. Sollte der Westen die geforderten 160 F-16 und die Taurus-Raketen in größerer Zahl liefern, dürfte dabei die Schwelle zur Transformation des Konflikts in zu einem europäischen Krieg um die Ukraine (Kujat) erreicht werden. Eine direkte NATO-Russland-Konfrontation rückte näher. Darauf zielen offenkundig auch die wiederholten Anschuldigungen Kiews von russischen Angriffen auf polnisches bzw. zuletzt auf rumänisches Gebiet, um damit den Bündnisfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrags auszulösen. [11] Eine unkontrollierbare Eskalation bis hin zum Einsatz von Kernwaffen könnte ausgelöst werden. Deshalb werden die Forderungen nach mehr Diplomatie statt Bomben lauter; schließlich ende jeder militärische Schlagabtausch mit einem Waffenstillstand gefolgt von Friedensverhandlungen.
Offizielle Kriegsziele der Konfliktparteien: [12]
Deren Grundzüge lassen sich auf Basis der Ursachen des Konflikts, der Motive und Ziele der Kriegsparteien, der Situation auf dem Schlachtfeld und der jeweiligen innenpolitischen Konstellation genauer eingrenzen.
- Ukraine:
- Keine Verhandlungen mit Putins Regierung
- Wiederherstellung des Staatsgebiets, inkl. Rückeroberung von Krim und Donbass
- Wiederaufbau des Landes aus konfisziertem russischen Vermögen[13]
- Strafrechtliche Verfolgung der russischen politischen und militärischen Führung
- Mitgliedschaft in EU und NATO
- USA/NATO
- Unterstützung der Forderungen Kiews
- Eskalierender Abnützungskrieg ohne offizielle NATO-Soldaten
- Ruinierung Russlands als geopolitische Macht, Schwächung der russisch-chinesischen Allianz
- Russland
- Anerkennung der Krim und des Donbass als russisches Staatsgebiet
- Keine NATO-Mitgliedschaft und keine Stationierung ausländischer Truppen auf ukrainischem Staatsgebiet
- Waffenbegrenzung, vor allem bzgl. Raketen größerer Reichweite
- Neutralität der Ukraine
- Aufhebung aller Sanktionen, inkl. SWIFT
Dies sind miteinander teilweise unvereinbare Maximalziele und bilden angesichts des Kriegsverlaufs aktuell keine Basis für Verhandlungen. Generell fällt auf, dass die UN als Akteur total marginalisiert, auch das Friedensgebot ihrer Charta völlig ignoriert wird. Allein das chinesische Positionspapier zum Jahrestag der Ukraine-Intervention[14] greift diese Prinzipien auf und erinnert ebenso wie explizit der von Ex-General Kujat et al. detaillierte Friedensplan an die von Premier Johnson für die USA/NATO torpedierten Istanbuler Friedensverhandlungen. Vor diesem Hintergrund sind die Initiativen Chinas und der Afrikanischen Union[15] doppelt wichtig: sie belegen zunächst, dass der globale Süden nicht länger nur Objekt, sondern als Subjekt der internationalen Politik eine aktiv gestaltende Rolle einnehmen will und sich im konkreten Fall eines Konflikts zwischen den größten Mächten, auch wenn aktuell ignoriert, als Vermittler/Mediator empfiehlt.
Programmatische Perspektiven für eine deutsche/europäische Linke [16]
Mögen international auch die Bemühungen um eine baldige Beendigung des Krieges erfolglos sein, die Linke in Deutschland und der EU ist ihrerseits angesichts des von den etablierten Medien getriebenen Politikwechsels zur anti-russischen Kriegspartei nach einer Positionierung mit praktischen Forderungen gefordert. Die wichtigsten wären:
1. Keine weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine. Ohne entscheidende Auswirkungen auf den Kriegsverlauf verlängern sie nur Leiden und Zerstörung und bergen die Gefahr einer unkontrollierbaren Eskalation.
2, Sofortiger Waffenstillstand ohne Vorbedingungen und Wiederaufnahme von Verhandlungen unter Rückgriff auf die Istanbuler Gespräche vom März 2022. Ein zentraler Konfliktpunkt betrifft Territorialfragen: Dabei gilt es, das Prinzip der territorialen Integrität gegenüber dem Recht auf Selbstbestimmung abzuwägen.
- Die Krim: Russisch seit Ende des 18. Jahrhunderts waren schon ihre Abtretung 1954 wie ihre Einverleibung in die Ukraine 1995 rechtlich nicht gedeckt. Die Bevölkerung hatte sich seit 1991 in mehreren Referenda, zuletzt am 6. März 2014 für die Unabhängigkeit bzw. einen Anschluss an Russland ausgesprochen. Von einer gewaltsamen Annexion im Zuge einer ‚russischen Spezialoperation Krim‘ kann keine Rede sein. Allenfalls die rasche Akzeptanz des Beitrittsantrags durch Moskau war völkerrechtlich fragwürdig, aber dafür hatte der Westen beim Kosovo ein Vorbild geliefert.[17]
- Der Donbass: Nach dem vom Westen massiv unterstützten Staatsstreich von 2014 hat Kiew eine anti-russische zugleich kulturell unitäre zentralistische Politik begleitet von gewaltsamer Unterdrückung der Minderheiten und ihrer Rechte eingeschlagen.[18] Sie hatte bewaffneten Widerstand und Referenda zur Selbstbestimmung in vier Oblasten des russisch-sprachigen Donbass zur Folge. Behauptungen von russischer, gar militärischer, Einmischung sind nicht belegt. So spielt einerseits Russland im Minsker Abkommen 2015 keine Rolle, andererseits sind die Vertreter der Volksrepubliken Lugansk und Donezk offizielle Vertragspartner. Unter der Ägide der OSZE wurde in Minsk II eine bis Ende 2015 umzusetzende föderative Verfassungsreform im Verbund mit weitgehender interner Autonomie für sie vereinbart. Ihre Umsetzung wurde mit der Absegnung durch den UN-Sicherheitsrat für alle Staaten verpflichtend. Doch das lag nicht im Interesse Kiews, noch der beiden Garantiemächte Deutschland und Frankreich. Ausdruck von Völkerrechtsnihilismus und völliger Missachtung der UNO diente ihnen das Abkommen allein zum Zeitgewinn, um die Ukraine vermittels der NATO zunächst gegen die Volksrepubliken, dann gegen Russland aufzurüsten.
Statt Autonomie in einer dezentralisierten föderativen Republik und Teil der nationalen Gemeinschaft wird die Bevölkerung des Donbass seitdem mit 14.000 Toten allein bis 2021 bekriegt, jüngst sogar unter Einsatz von Streubomben und abgereicherter Uranmunition. Daher erklärten mehrere Oblasten der Ost-Ukraine unter Berufung auf das externe Selbstbestimmungsrecht ihre Sezession. Als nunmehr unabhängige Republiken beantragten die Repräsentanten von Donezk und Lugansk sowie zweier weiterer seinerzeitiger, jedoch nur kurzlebiger Volksrepubliken -auf Referenda gestützt- im September 2022 ihre Aufnahme in die russische Föderation. Mit deren Annahme sind sie integraler Bestandteil Russlands.[19] Als ‚Terroristen‘ mit Tausenden Toten bekämpft, zur Sezession getrieben, kann bei dem Beitritt als nunmehr integraler Bestandteil Russlands von ‚gewaltsamer‘ Annexion keine Rede sein. Insofern erscheint das Angebot Moskaus vom März 22 in Istanbul eines Rückzugs aus dem Donbass überholt. Und Kiew und die NATO- Kriegsparteien werden sich jenseits ihrer formalen völkerrechtsbasierten Forderung nach Restituierung des Donbass fragen müssen, welche Zukunft deren diskriminierte und massakrierte Bevölkerungen als dann Minderheiten und damit eminent innenpolitisches Problem zu erwarten hätten!
3. Der Aufbau einer gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur unter Einschluss Russlands ist die sicherheitspolitisch langfristig wichtigste Aufgabe. Statt Aufrüstung und Abschreckung muss die Devise der neuen und zugleich alten Verteidigungsdoktrin „wechselseitige Sicherheit“ lauten. Der versprochene Beitritt der Ukraine zur NATO ist damit unvereinbar. Im Übrigen widerspräche er auch deren Statuten, wonach nicht der Wunsch des Antragsstellers, sondern der Gewinn an zusätzlicher Sicherheit für alle Mitglieder Grundvoraussetzung für einen NATO-Beitritt ist. Darüber hinaus wäre eine völkerrechtlich und sicherheitspolitisch abgesicherte Neutralität für die Ukraine wie das Ost-West-Verhältnis die beste Lösung. Das Land würde zudem von seiner geographischen Lage als Brücke zwischen EU und Zentralasien wirtschaftlich profitieren.
4. Dies entspräche objektiv auch Russlands Interesse. Wie gezeigt, ist die Ukraine- Intervention eine strategische Verteidigungsreaktion bzgl. der Minderheiten im Donbass wie gegenüber dem existenzbedrohenden weiteren NATO-Vorstoß und Abweisung von Verhandlungsangeboten. Weder von langer Hand vorbereitet noch auf eine Besetzung der Ukraine abzielend, ist sie schon gar keine erste Etappe eines imperialen Projekts.[20] Von Russland geht keine militärische Bedrohung für Westeuropa aus. Sein Militärbudget betrug selbst im Kriegsjahr 2022 mit 86 Mrd. $ (nach 66 Mrd. $ 2021) nur ein Zehntel dessen der USA (877 Mrd.$) und 7% der NATO-Ausgaben (1.232 Mrd. $). Ihm fehlte zudem die ökonomische Basis. Mit einer Volkswirtschaft von 2.2 Bill. $ stellt es nur eine Mittelmacht auf dem Niveau Italiens bzw. Kanadas dar. Formell die achtgrößte Volkswirtschaft entspricht sein Bruttoinlandsprodukt knapp 9% der Wirtschaftskraft der USA (25.5 Bill. $) und kaum mehr als der Hälfte Deutschlands oder Japans (4.1/ 4.2 Bill.).[21]
Als größtes Land der Erde mit gewaltigen Rohstoffreserven, inkl. fossilen Energieträgern, und einem Durchschnittseinkommen seiner 145 Mio. Einwohnern von 15.400 $ (D 48.600 $) ist Russland für seine Entwicklung wirtschaftlich und technologisch auf den Außenhandel angewiesen. Dabei richtet sich seine Orientierung historisch nach Westen. Zu erinnern sei nur an die Bemühungen aller russischen Regierungen von Gorbatschow bis Putin vom ‚gemeinsamen europäischen Haus vom Atlantik bis Wladiwostok‘; sogar Beitritte zur NATO und EU wurden angedacht. Dies wäre auch für die EU und besonders Deutschland vorteilhaft, wie die gravierenden Rückschläge der anti-russischen Sanktionen auf ihre Volkswirtschaften und Wettbewerbsfähigkeit zeigen.
5. Die Beziehungen zu Russland definieren zugleich das Verhältnis von EU und Deutschland zu den USA. Trotz des erneuerten Schulterschlusses sind die Interessen von EU und USA nicht identisch, im Sich den USA als ‚dienende Führungsmacht‘ aus vorgeblich sicherheitspolitischen Erwägungen unterzuordnen, verschärfen Kriegsrisiko und Wohlstandsverluste. Deutschland und die EU sind Regionalmächte mit alternden Bevölkerungen und stagnierenden Volkswirtschaften. Ihre weltweiten Anteile an Handel, Wirtschaft und Bevölkerung schwinden schnell. An der Peripherie des eurasischen Kontinents gelegen, bildet dieser ihr natürliches strategisches und politisch-wirtschaftliches Hinterland. Hier liegen die Wirtschaftsmächte der Zukunft. Mit ihnen zu kooperieren, statt sich in antagonistischen Blöcken gegenüberzustehen, gebietet sich für Europa. Aber eben nicht für die USA, die eine solche engere Verbindung als Gefährdung ihrer Vorherrschaft betrachten, wie die prinzipielle Gegnerschaft gipfelnd in der Sprengung der Gasleitungen North Stream I/II beispielhaft belegt.
6. Die USA sind eine globale Macht. Mit 332 Mio. Einwohnern (4% der Weltbevölkerung) und einem Anteil von 25% am Weltsozialprodukt beanspruchen sie unter den rd. 200 Staaten keine führende, sondern eine hegemoniale Rolle. Sie dauerhaft durchzusetzen,[22] stützen sie sich auf den Dollar als Weltgeld und ein Militär, das durch ein Netz von 750 Basen in 80, dadurch in ihrer Souveränität eingeschränkten, Ländern,[23] zehn Flugzeugträgerkampfverbänden sowie verschiedene Militärbündnisse weltweit jederzeit einsatzfähig ist.
Aus sicherheitspolitischen Erwägungen angesichts der militärisch unterfütterten Systemkonkurrenz konnte sich die USA mit der NATO 1949 in (West-)Europa mit Truppen und Massenvernichtungswaffen exterritorial auf Dauer verankern.[24] Mit dem Zerfall der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Pakts (1955-1991) verlor die NATO objektiv ihre Existenzberechtigung. Sie blieb jedoch bestehen und verwandelte sich von einem Verteidigungs- in ein Kriegsbündnis: heute wie gestern gegen Russland,[25] morgen gegen China, systemisch im Namen des kollektiven Westens zur weltweiten Durchsetzung von Demokratie und wertebasierter Ordnung. Allein die USA verantworten dafür fast 40% der weltweiten Rüstungsausgaben, die 31 Mitgliedsländer der NATO mit ihren 12% Anteil an der Weltbevölkerung zusammen 55% oder 1.2 von 2.2 Bio. $. [26]
7. Vor diesem Hintergrund zeichnet sich für ein Europa und Deutschland, wenn sie sich den Problemen globalen Friedens, Entwicklung, von Umwelt- und Klimakrise stellen wollen, nur eine Politik „strategischer Autonomie“ im Verhältnis zu den USA ab. Konkret bedeutete es zunächst den Austritt aus der NATO, inkl. Aufhebung der US-amerikanischen Militärbasen, gefolgt von deren Auflösung. Damit würde ein Beitrag zur Etablierung eines multipolaren geopolitischen Systems ohne systemisch konfrontative Bündnisse geleistet, wie es auch die BRICS- Staaten als Repräsentanten des globalen Südens fordern. In ihm könnte die EU seine wirtschaftlich-technologische Kompetenz wie historische Lehren aus Kolonialismus und ständigen Kriegen einbringen. Statt Militarisierung der Außenpolitik, massiver Aufrüstung und neuer Entwicklungsbarrieren qua steigender Verschuldung durch Inflation, Nahrungs- und Energieknappheit würde der Weg zu Kooperation und globalen Problemlösungen frei.
8. Eine neue Sicherheitsstrategie würde realisierbar, die sich im Verbund mit Transparenz und Abrüstung durch einen Wandel zu einer territorial, systemisch angriffsunfähigen Verteidigungspolitik auszeichnet. Statt unproduktiver und CO2 - intensiver Militärinvestitionen würden Gelder für die ökologische Transformation frei. Mehr noch, statt Ausgrenzung würden wenigstens Spielräume für mehr Demokratie, ein Umdenken gefolgt von einer breiten Bewegung gegen die dominante Umwelt und Nachhaltigkeit zerstörende Produktionsweise und die sie tragende kriegsbereite herrschende Klasse eröffnet.
Quellen:
[1] Vgl. Watkins, S., Fünf Kriege in einem, pp 22-35, in: Ukraine-Krieg – Weltordnungskrieg, Das Argument 340, 2023. Baud, J., Putin, Herr des Geschehens?, Frankfurt 2023, bes. ‚Die russische Bedrohung und die Ukraine Krise, pp 105 ff sowie 227ff. Siehe auch Gehrke, W., Reymann, Ch; (Hg), Ein willkommener Krieg? Köln 2022, bes. Teil II, ‚Was für ein Krieg?‘
[2] Abgesehen von der Ukraine, ist es ein Krieg, der bzgl. schwerem militärischen Gerät, inkl. Intelligence, sowie Finanzmitteln ganz wesentlich von der NATO geführt wird, auch wenn vereinzelt Länder wie Sudan, Kambodscha, Kolumbien (einige Flüge mit möglichem Kriegsgerät, Ausbildung im Minenräumen) genannt werden. Und selbst unter den 31 NATO Staaten sind so manche Länderbeiträge, z.B. Ausbildung für Wundärzte (Ungarn) oder Lieferung von Helmen, Kriegswesten, 30 Ausbildern (Irland) eher marginal. Die zentralen Kriegsparteien auf Seiten der Ukraine sind die USA, die fast die Hälfte an Kriegsgerät und Militärfinanzhilfen aufbringen gefolgt von der EU, Großbritannien und Deutschland. https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_military_aid_to_Ukraine_during_the_Russo-Ukrainian_War#Sovereign_countries
[3] An zusätzlichen Finanzmitteln wurden zwischen Februar 2022 und Ende Mai 23 insgesamt rd. 165 Mrd. $, davon 80 Mrd. für Waffenkäufe seitens einzelner NATO Staaten und der EU an Kiew überwiesen. https://www.statista.com/statistics/1303432/total-bilateral-aid-to-ukraine/
[4] Zum jüngsten, vom Londoner Guardian berichteten Treffen zwischen Top NATO Befehlshabern und dem ukrainischen Stabschef vgl. Stellvertreterkrieg: NATO befehligt ukrainische Gegenoffensive — RT DE
[5] https://www.statista.com/statistics/1293492/ukraine-war-casualties/ Ganz anders die Verluste der Armee: bei einer Gesamttruppenstärke von rd. 500.000 Mann wird die Zahl der Gefallenen bis Ende August 23 auf 70.000, die der Verwundeten auf 120.000 geschätzt. https://www.bbc.com/news/world-europe-66581217
[6] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1293861/umfrage/anzahl-der-kriegsfluechtlinge-aus-der-ukraine-nach-aufnahmeland/ Von den 8 Mio. bis Mitte August 2023 ins Ausland Geflüchteten, darunter 1.1 Mio. in die BRD, sind 80% Frauen, die Hälfte davon mit Kindern. Umfragen zufolge wollen mehr als drei Viertel nicht in die Ukraine zurückkehren. Mit 1.3 Mio. flüchtete die höchste Zahl nach Russland (Zahlen bis 31.12.22) https://www.statista.com/statistics/1312584/ukrainian-refugees-by-country/.
[7] https://www.macrotrends.net/countries/UKR/ukraine/population
[8] Laut einer gemeinsamen Studie von Weltbank, UNO, EU und der ukrainischen Regierung von Juni 2023. https://exxpress.at/wiederaufbau-der-ukraine-kostet-441-milliarden-eu-will-dass-russland-zahlt/
[9] Sie stellen inzwischen 42 % der Weltbevölkerung und 32 % des Weltsozialprodukts gegenüber 12 bzw. 30% für den Westen/die G7. https://www.thepresidency.gov.za/content/xv-brics-summit-johannesburg-ii-declaration-24-august-2023 vgl. auch die Havanna Declaration der G77 https://peoplesdispatch.org/2023/09/16/in-final-declaration-g77-rejects-digital-monopolies-and-calls-for-reform-of-the-financial-system/
[10] Vgl. «Je länger der Krieg dauert, desto schwieriger wird es, einen gerechten Verhandlungsfrieden zu erreichen» Interview mit General a. D. Harald Kujat* Nr. 12 vom 22. August 2023 - Zeitgeschehen im Fokus (zeitgeschehen-im-fokus.ch) vgl. auch Anm.12
[11] So dementierte die rumänische Außenministerin Odobescu ausdrücklich die ukrainische Darstellung, russische Drohnen seien auf dem Territorium des NATO-Mitglieds niedergegangen. Deutschlandfunk 4.Sept.23 https://www.deutschlandfunk.de/aussenministerin-odobescu-kein-niedergang-russischer-drohnen-auf-rumaenischem-staatsgebiet-102.html https://www.deutschlandfunk.de/aussenministerin-odobescu-kein-niedergang-russischer-drohnen-auf-rumaenischem-staatsgebiet-102.html Zu dem vorgeblichen Drohnenangriff auf Polen Mitte November 2022 vgl. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/explosionen-polen-russland-nato-was-wissen-103.html
[12] Den Krieg mit einem Verhandlungsfrieden beenden. Verhandlungsvorschlag von Prof. Peter Brand, Prof.Hajo Funke, General Harald Kujat, und Prof. Horst Teltschik. https://zeitgeschehen-im-fokus.ch/de/newspaper-ausgabe/sonderausgabe-vom-28-august-2023.html Die Ideen und Vorschläge werden im Folgenden, inkl. ‚Programmatische Perspektiven‘ vorausgesetzt.
[13] Dies, bestehend aus eingefrorenen ausländischen Konten der russischen Zentralbank und Privatvermögen wird auf 350 Mrd. $ geschätzt Reconstruction de l'Ukraine: les Occidentaux promettent de faire payer la Russie AFP, le mercredi 21 juin 2023. https://www.handelsblatt.com/politik/international/reparationszahlungen-eingefrorene-russische-vermoegen-350-milliarden-euro-fuer-den-wiederaufbau-der-ukraine/28331444.html Bond, P.,
[14] https://www.fmprc.gov.cn/eng/zxxx_662805/202302/t20230224_11030713.html
[15] https://www.dw.com/en/african-leaders-in-ukraine-to-push-for-peace-talks/a-65938935 https://foreignpolicy.com/2023/06/21/a-failed-african-peace-mission-to-ukraine-and-russia/ für eine Gesamteinschätzung vgl. https://www.vifindia.org/article/2023/july/10/evaluating-the-african-peace-mission-to-ukraine-and-russia-what-did-it-achieve. auch „Frieden Made in Africa“ 24.08.2023 ipg Philani Mthembu https://www.ipg-journal.de/rubriken/aussen-und-sicherheitspolitik/artikel/frieden-made-in-africa-6938/
[16] Vgl. dagegen Bierbaum, H., Brie, M., Die Linke und der Ukraine-Krieg, pp 23-26, in: ‚Den Ukraine-Krieg beenden, SOZIALISMUS, Supplement zu Heft 9/2023. Sie sehen die Verantwortung für den ‚2014 ausgebrochenen und 2022 durch den „Großangriff der russischen Föderation“ in einen „großen Krieg im östlichen Herzen Europas“ mündenden Konflikt vornehmlich bei Russland. Sie identifizieren 3 Ursachen: eine interimperiale Konfrontation, einen innerukrainischen Konflikt und die Bemühungen der russischen Eliten, den geopolitischen Niedergang des Landes aufzuhalten. Der Westen dagegen hat sich lediglich einer sozusagen ‚Unterlassungssünde‘, nämlich der „Verweigerung ernsthafter Verhandlungen zur Durchsetzung der im Minsk II Abkommen vereinbarten Ziele und über den Verzicht auf NATO-Mitgliedschaft der Ukraine“ im Sinne des Friedensgebots der UN-Charta völkerrechtlich schuldig gemacht. Von NATO-Osterweiterung, der bewussten Hintertreibung von Minsk II zwecks Zeitgewinn zur –westlich/NATO dominierten- Aufrüstung der Ukraine, von Aufhebung des strategischen Gleichgewichts zu Lasten Russlands oder Charakter der NATO ist keine Rede.
[17] Im Einzelnen siehe Baud,J; Putin – Herr des Geschehens? Ffm.2023, pp 130-139. Vor allem auch https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/die-krim-und-das-voelkerrecht-kuehle-ironie-der-geschichte-12884464.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2
[18] Die USA durch ihre Botschafterin Nuland stimmte selbst bei der Zusammensetzung der Regierung mit. Unterstützt. Von starken rechtsextremen Organisationen begleitet schlug die neue Regierung einen militanten Kurs gegen die widerständige, dominant russische Bevölkerung im Osten ein. Russisch wurde als offizielle Amtssprache verboten, die Zentralisierung auf Kosten der Regionen vorangetrieben, das Militär zur Niederschlagung von Autonomiebestrebungen eingesetzt.
[19] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-russland-donezk-luhansk-101.html
[20] Erinnert sei an die Rede Putins bei der Münchener Sicherheitskonferenz 2001 und seine Rede vor dem Deutschen Bundestag 2007. Im kollektiven Gedächtnis geblieben ist auch seine Bemerkung in der New York Times vom 20.2.2000 „Anyone who doesn't regret the passing of the Soviet Union has no heart. Anyone who wants it restored has no brains.
[21] https://countryeconomy.com/countries/groups/imf bzw. https://www.imf.org/external/datamapper/NGDPD@WEO/OEMDC/ADVEC/WEOWORLD
[22] Vgl. dazu das Konzept ‚New American Century‘ und das Strategiepapier ‚Joint Vision 2020‘ von 2000
[23] In der BRD sind es allein 50. https://www.thesoldiersproject.org/how-many-us-military-bases-are-there-in-the-world/
[24] Der –m.E. nach wie vor geltende- oberste Zweck der NATO in Westeuropa aus US-Sicht besteht laut ihres 1.Generalskretärs Ismay darin: „to keep the Soviet Union out, the Americans in, and the Germans down“. https://www.nato.int/cps/uk/natohq/declassified_137930.htm
[25] Diesem Ziel diente die Aufkündigung der internationalen Sicherheitsarchitektur in Form der Abrüstungsabkommen ABM (2002) und INF (2019), der ab 2007 geführten Verhandlungen über die Stationierung von Raketenabwehrsystemen in Polen und Tschechien, später auch Rumänien sowie die Zusagen in Bukarest 2008 auf zukünftige NATO-Mitgliedschaft -neben Georgien und Moldavien- der Ukraine. Schon frûher ging jeder Mitgliedschaft osteuropäischer Länder in der EU eine in der NATO voraus.
[26] https://www.sipri.org/media/press-release/2023/world-military-expenditure-reaches-new-record-high-european-spending-surges