Großes Wehklagen in der großen Politik. Das Verfassungsgericht streicht die Verwendung von nicht ausgeschöpften Finanzfonds, und prompt fällt die Finanzierung der Klimaschutzinvestitionen des Staates zusammen (wobei man noch in Frage stellen muss, ob es hier immer um klimafreundliche Ausgaben handelt). Aber halt, es gäbe durchaus noch Möglichkeiten:
Jedes Jahr bleiben erneut riesige Geldmengen übrig, nicht verfügbar für den privaten Konsum und überflüssig für den Bedarf an Sachanlageninvestitionen. Auskunft darüber gibt Bild 1, das die Verwendung der jährlichen Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen (so die offizielle Bezeichnung für das, was wir kurz Profite nennen) darstellt. Einbegriffen sind hier auch die Einkommen der Millionen Selbständigen, also alle Nicht-Arbeitnehmer, Nicht-Lohnempfänger, auch wenn es sich um Einmannbetriebe oder um Scheinselbständige handelt.
Bild 1
Die oberste Linie zeigt die Entwicklung der Brutto-Gewinneinkommen für deutsche Unternehmer, Vermögende und Konzerne: neu geschaffene Einkommen ohne Kursgewinne und -verluste, ohne Bodenwertsteigerung und andere Preisänderungen; Einkommen vor ihrer Umverteilung und Auszahlung als Zinsen, Dividenden, Kapitalentnahmen usw. Die Gesamtsumme liegt heutzutage bei gut 800 Mrd. Euro. Davon gehen Steuern auf Vermögen (z.B. Grundsteuer) und Gewinne und Selbständigen-Einkommen ab: das gelb-orange Feld.
Die verbleibenden Nettogewinne nach Steuern sollten eigentlich großenteils investiert werden, wenn es nach dem Lehrbuch gehen würde. (Ein ob seiner Kenntnisse der wirtschaftlichen Zusammenhänge berühmter Bundeskanzler: "Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen.") Das schmale grüne Feld unten zeigt die tatsächlichen Netto-Sachanlageninvestitionen: das sind Investitionen in zusätzliche Produktionsanlagen (incl. in Forschungstätigkeit und Unternehmensverwaltung), also zusätzlich zur Erneuerung der abgenutzten, abgeschriebenen Anlagen (die aus den Abschreibungserlösen bezahlt werden). Seit 20 Jahren werden weniger als 15 % der Gewinneinkommen hierfür eingesetzt, also ein kleiner Teil dessen, was Mensch womöglich erwartet hätte.
Dann geht es noch um den Bedarf für den individuellen Konsum der Scheinselbständigen bis hin zu den Großkapitalisten, vom Schnitzel bis zum Privatflugzeug. Das graue Feld ist meine grobe Schätzung hierfür.
So, und schließlich bleibt noch ein Rest, das rote Feld: das ist die Gewinnsumme, die nach Steuern, nach Konsumbedarf und nach Sachanlageninvestition übrig bleibt zur freien Verwendung: für Finanzanlagen, für ausländische Anlagen, zur Spekulation (was ja ein gigantisch riesiges und vielfältiges Feld ist), für den Aktienrückkauf (also den Kauf eigener Aktien durch die Konzerne; Ziel ist der Kursanstieg) usw. usw. Seit fast 20 Jahren beläuft sich dieser Überschuss auf 200 Mrd. Euro und mehr. Jedes Jahr. Steigende Tendenz. Freie Gelder, eingesetzt zur Profitmaximierung. Oder alternativ – nach Wegbesteuerung – einsetzbar für gesellschaftlich sinnvolle Zwecke.
Was ist der Hintergrund für diese Profitexplosion?
Dafür dient das folgende Bild 2. Hier habe ich versucht, das Konglomerat Unternehmer- und Vermögenseinkommen, das in der offiziellen Statistik nicht weiter differenziert wird, per Schätzung auf der Basis diverser weiterer Statistiken auseinander zu teilen. Und zwar nach drei Positionen:
Bild 2
Unternehmerlohn: Das ist der Ausdruck der Ökonomen für den Wert der Arbeitstätigkeit der Selbständigen. Nur die wenigsten der Millionen Selbständigen sitzen im Hinterzimmer und zählen ihre Aktien; die meisten arbeiten unmittelbar als Fliesenleger oder Kioskpächter oder Radlkurier oder auch als Ärztin oder Rechtsanwältin usw. Das ist konkrete wertschaffende Arbeit, es ist nicht wirklich Kapitalertrag, auch wenn es formal kein Lohneinkommen ist.
Kapitalgewinne in marktfernen Unternehmen: Die Branchen sind sehr unterschiedlich der kapitalistischen Konkurrenz unterworfen. Hier fasse ich diejenigen zusammen, die erstens stark reglementiert sind (wie die Landwirtschaft), oder die zweitens sehr gemischt und heterogen sind wie etwa Bildung und Gesundheit (dominiert von staatlichen Einheiten und nicht trennbar durchsetzt von privaten Akteuren), und schließlich drittens den großen Wohnungssektor: hier gibt es nicht nur die Gewinne von Vonovia und Co, sondern auch die der Millionen Kleinvermieter und, mehr noch, darüber hinaus sind in der Statistik die von den Eigentümern selbst bewohnten Immobilien enthalten, und zwar mit einem unterstellten Mietwert ihrer Wohnung, den sie an sich selber bezahlen.
Kapitalgewinne in marktnahen Bereichen: Das ist der verbleibende Rest, die Kapitalgewinne von Unternehmen und Konzernen, die voll in der kapitalistischen Konkurrenz stehen gegen die eigenen Beschäftigten um den Anteil an der Wertschöpfung (Profit- versus Lohnquote), und natürlich auch in der Weltmarktkonkurrenz gegen ausländische Nebenbuhler.
Wir sehen in Bild 2, dass der Anteil der konkurrenzstarken deutschen Konzerne am gesamten Unternehmereinkommen – und auch am gesamten Volkseinkommen – in den letzten etwa 20 Jahren massiv zugenommen hat. Das ist der Hintergrund für die riesigen überschüssigen anlagesuchenden Gelder in Bild 1.
Geld ist im reichen Deutschland wirklich genug da. Neue Staatsschulden sind nicht nötig.
Anmerkung 1: Beispiel RWE: Früher schwankte der RWE-Profit um die 2 Mrd. Euro pro Jahr, durchaus sehr auskömmlich. Seit 2022 liegt er dreimal so hoch, Marktlagengewinne nennt sich das. RWE ist, wie man das ja auch erwarten konnte, Inflationsgewinner. Für solche Zusatzgewinne gabs eigentlich die Übergewinn-Abschöpfung, eine Überlegung der EU. Die Bundesregierung hat diese Sonderregelung auch eingeführt, im Sommer 2023 allerdings darauf verzichtet, weil der Bürokratieaufwand dafür so hoch sei.
Anmerkung 2: Eine Gewinnbesteuerung wäre natürlich ungleich ertragreicher bei der aktuellen Frage, wo man die nach dem Verfassungsgerichtsurteil fehlenden 60 Mrd. Euro herkriegen könnte, als der Vorschlag des rechtsradikalen bayerischen Wirtschaftsministers und ökonomischen Analphabeten, welcher in einem ZDF-Interview felsenfest darauf beharrte, dass die fehlenden 60 Mrd. von den Bürgergeld-Empfängern und von den Flüchtlingen bezahlt werden sollten. Es steht aber wohl zu erwarten, dass es eher nach der Aiwanger-Richtlinie gehen wird.
Mehr Informationen dazu im isw-spezial 35: Blackbox Gewinneinkommen, https://www.isw-muenchen.de/broschueren/spezials/39-spezial-35