Berlin und Brüssel diskutieren Finanzierung steigender Militäretats: per Aufrüstungsfonds à la Corona-Wiederaufbaufonds oder per Streichung von Feiertagen. Bekannter Publizist fordert nukleare Bewafffnung der EU.

 

 

Trotz rasant steigender Militärausgaben dringen Berlin und Brüssel auf weitere Schritte zur Erhöhung der nationalen Wehretats in der EU. Der deutschen Regierung ist es gelungen, mit buchhalterischen Tricks das Streitkräftebudget mit einem Schlag auf rund zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben. Dazu sollen im nächsten Jahr dem regulär wachsenden Wehretat noch 19,2 Milliarden Euro aus den Sonderschulden hinzugefügt werden, die in Berlin trotz einer Rüge des Bundesrechnungshofs immer noch verschleiernd „Sondervermögen“ genannt werden. Sobald dieses in wenigen Jahren wegfällt, will Verteidigungsminister Boris Pistorius den Wehretat um 23 Milliarden Euro erhöhen. Um die Mittel aufzubringen, könne man einfach zwei Feiertage streichen, regt der Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Guntram Wolff, an. In der EU wird auf Vorschlag der estnischen Ministerpräsidentin Kaja Kallas über einen Aufrüstungsfonds nach dem Vorbild des Covid-19-Wiederaufbaufonds diskutiert – mit einem Volumen in dreistelliger Milliarden-Euro-Höhe. In Berlin wird gleichzeitig die Forderung nach nuklearer Aufrüstung der EU laut.

Milliarden für die „Kriegstüchtigkeit“

Der offizielle deutsche Militärhaushalt wird im kommenden Jahr um rund 1,7 Milliarden Euro steigen und 51,8 Milliarden Euro erreichen. Rechnet man die 19,2 Milliarden Euro aus den Sonderschulden hinzu, die laut Auskunft des Verteidigungsministeriums im Jahr 2024 ausgegeben werden sollen, dann erreichen die deutschen Wehrausgaben rund zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts.[1] Für die Zeit, wenn die Sonderschulden aufgebraucht sind, verlangt Verteidigungsminister Boris Pistorius bereits heute eine beispiellose Erhöhung des deutschen Militäretats; dieser müsse dann, erklärte Pistorius am Mittwoch im Bundestag, um bis zu 23 Milliarden Euro pro Jahr aufgestockt werden.[2] Pistorius, der seit kurzem fordert, die Bundeswehr müsse „kriegstüchtig“ sein, verwahrte sich im Parlament gegen Kritik, es solle lieber wie bisher von „Verteidigungsfähigkeit“ gesprochen werden; er beharrte auf seiner Wortwahl. „Kriegstüchtigkeit“ erklären ohnehin die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien zum offiziellen Ziel der Bundesregierung.[3]

„Europäische Verteidigungsbonds“

Gleichzeitig zum deutschen sind auch die Militäretats zahlreicher weiterer EU-Länder aufgestockt worden. So gaben die Mitgliedstaaten der Union im Jahr 2022 die Summe von 240 Milliarden Euro für ihre Streitkräfte aus, sechs Prozent mehr als im Jahr 2021. Sechs EU-Staaten erhöhten ihre Wehretats dabei um mehr als zehn Prozent, Schweden gar um mehr als 30 Prozent.[4] In diesem Jahr liegen die Militärausgaben der EU-Staaten laut Angaben von Ratspräsident Charles Michel schon bei 270 Milliarden Euro. Wie Michel am gestrigen Donnerstag auf der Jahrestagung der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) mitteilte, lag der Betrag, der im vergangenen Jahr alleine für Rüstungsinvestitionen ausgegeben wurde, bei 60 Milliarden Euro. Das bedeute, „dass wir in den nächsten zehn Jahren mindestens 600 Milliarden Euro investieren können“, um Kriegsgerät zu entwickeln und zu produzieren, hielt Michel fest.[5] Mit 600 Milliarden Euro könne man „großartige Dinge tun“: „Das kann und sollte ein Wendepunkt sein.“ Michel plädierte darüber hinaus dafür, es nicht bei dieser Summe zu belassen. Um „unsere technologische und industrielle Basis“ auf dem Sektor der Rüstungsindustrie zu stärken, sprach sich Michel für die Einführung von „europäischen Verteidigungsbonds“ aus.

Vorbild Covid-19-Wiederaufbaufonds

Michels Vorschlag knüpft an einen Vorstoß von Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas an. Kallas hatte auf dem jüngsten EU-Gipfel dafür plädiert, eigens einen EU-Aufrüstungsfonds aufzulegen – und zwar nach dem Vorbild des Covid-19-Wiederaufbauprogramms „Next Generation EU“. Der Fonds ist Teil einer umfassenden Militarisierungsoffensive; Kallas will durchsetzen, dass die Aufrüstung während der Amstzeit der nächsten EU-Kommission nach der Europawahl im Juni 2024 zu einer der „drei obersten Prioritäten der EU“ aufgewertet wird.[6] Ein genaues Konzept für den Aufrüstungsfonds liegt noch nicht vor; auch wird bisher noch keine konkrete Summe dafür genannt. „Next Generation EU“ belief sich auf 750 Milliarden Euro; über den Aufrüstungsfonds heißt es, es sei sicherlich „ein dreistelliger Milliardenbetrag nötig“.[7] Die Bundesregierung lässt erkennen, sie sei „nicht grundsätzlich“ gegen das Vorhaben. Es müsse lediglich verhindert werden, dass einzelne EU-Staaten ihre Haushalte entlasteten, indem sie ihre Militärausgaben faktisch auf die EU-Ebene verschöben. Sollte es irgendwann gelingen, einheitliche EU-Streitkräfte zu etablieren, dann spreche ohnehin überhaupt nichts dagegen, sie aus gemeinsamen EU-Mitteln zu finanzieren, werden Kreise aus dem Berliner Kanzleramt zitiert.

Feiertage streichen

Ein neuer Vorschlag zur Aufstockung des deutschen Militärhaushalts kommt unterdessen aus der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Deren Direktor Guntram Wolff schrieb zu Wochenbeginn in einem Beitrag für das Handelsblatt, die Bundesrepublik werde „zwingend wesentlich mehr für ihre eigene Verteidigungsfähigkeit und die Unterstützung der Ukraine ausgeben müssen“.[8] Die „damit einhergehende Erhöhung der Staatsausgaben“ sei „strukturell, das heißt wahrscheinlich über Jahrzehnte, notwendig“. Wolff geht von einem Betrag in Höhe von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Ihm zufolge müssen darüber hinaus weitere 0,5 Prozent „für die grüne Transformation“ eingeplant werden. Um „diese langfristig notwendigen zusätzlichen Belastungen von fast einem Prozentpunkt“ des Bruttoinlandsprodukts stemmen zu können, könne man ganz einfach zwei Feiertage abschaffen. Dänemark etwa habe dies schon getan und, um das Zwei-Prozent-Ziel der NATO zu erreichen, den „seit 1686 existierenden ... ‘Store Bededag‘“ gestrichen. Dies sei ohnehin recht angebracht, da Deutschland laut Daten der OECD „bei der effektiv geleisteten Jahresarbeitszeit“ im EU-Vergleich „eher im unteren Bereich“ liege: „So arbeiten Deutsche mit 1.341 Arbeitsstunden pro Jahr 150 Stunden weniger als Franzosen und sogar 353 Stunden weniger als Italiener.“[9]

„Gemeinsamer Koffer mit rotem Knopf“

Während die Debatte um die Finanzierung rasant steigender Wehrhaushalte andauert, schlägt ein im Berliner Establishment einflussreicher Publizist eine nukleare Bewaffnung der EU vor. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler fordert in einem aktuellen Interview: „Europa muss atomare Fähigkeiten aufbauen“.[10] Zwar habe Großbritannien „Atom-U-Boote, Frankreich die Bombe“; doch könne man nicht sicher sein, dass sie sie einsetzen würden, um „Litauen oder Polen zu schützen“. Man sei bloß unangreifbar, wenn man „bis an die Zähne bewaffnet“ sei, wird Münkler zitiert. Der Politikwissenschaftler fordert: „Wir brauchen einen gemeinsamen Koffer mit rotem Knopf, der zwischen großen EU-Ländern wandert.“

 

[1] Jörg Fleischer: Verteidigungsetat 2024 wächst um 1,7 Milliarden Euro – NATO-Quote wird erreicht. bmvg.de 06.07.2023.

[2] Kriegstüchtig, dabei bleibt er. Frankfurter Allgemeine Zeitung 30.11.2023.

[3] S. dazu „Deutschland kriegstauglich machen“ und „Kriegstüchtigkeit“ als Handlungsmaxime.

[4] Alexandra Brzozowski, Aurélie Pugnet: Commission chief: EU’s defence strategy ‘incomplete’ without Ukraine. euractiv.com 30.11.2023.

[5] „A European Defence for our Geopolitical Union”: speech by President Charles Michel at the EDA annual conference. consilium.europa.eu 30.11.2023.

[6], [7] Martin Greive, Moritz Koch, Annett Meiritz: Europa diskutiert über einen milliardenschweren Militärfonds. handelsblatt.com 27.11.2023.

[8], [9] Guntram Wolff: Deutschland sollte zwei Feiertage streichen. handelsblatt.com 28.11.2023.

[10] Politologe Herfried Münkler rät Europa zur atomaren Aufrüstung. spiegel.de 29.11.2023. S. auch Ein Nuklearschild für die EU.