Film-Referenz zum 50-sten Jahrestag des Putsches gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende.
Am 4.9.1970 gewinnt Allende an der Spitze der Unidad Popular, einem 1970 gegründeten Zusammenschluß mehrerer Parteien die Wahl mit 36,4% der Stimmen. Am 24.10. 1970 wird Allende vom chilenischen Nationalkongress mit 153 zu 35 Stimmen als Präsident bestätigt und es beginnt damit eine bis dahin eine einmalige Etappe in der Geschichte Chiles.
Bereits am 15.9.1970 – also kurz nach der Wahl stellte Henry Kissinger fest: „Die Wahl Allendes ist ernst, ernst für die amerikanischen Interessen in Chile“. Bereits 1970 war in Washington beschlossen worden, Chile zu destabilisieren, wirtschaftlich, medienmäßig und militärisch.
Seit 1958 war Allende beim CIA auf dem Radarschirm, nachdem er damals bei der Präsidentschaftswahl bereits 29% der Stimmen erzielte. Auch bei den nachfolgenden Wahlen, das wissen wir heute, unterstützte der CIA die rechten Kandidaten. 1966 wird Allende zum Präsidenten des Senats gewählt.
Am 11.9.1973 hat sich der demokratisch gewählte sozialistische Präsident Salvador Allende (mit der Unidad Popular) das Leben genommen, nachdem das Gebäude der Monade vom Militär gestürmt worden war. Dieser von der CIA (die US- Regierung war aktuell informiert) massiv unterstützte Putsch ist Anlaß, daran zu erinnern. Mit dem Putsch sollte mit Panzern und Bomben die Hoffnung auf ein Alternative zum kapitalistischen Gesellschaftsmodell zerstört werden.
Was hatte Allende falsch gemacht, kann man fragen?
Das Wahlprogramm der Unidad Popular hatte drei Hauptrichtungen:
- Verstaatlichung von Schlüsselindustrien wie z.B. Kupferminen (35% des Kupfers gingen in die BRD), Salpeterminen (heute Lithium) – Einführung von Mindestlöhnen,
- Ausbau der vom Vorgänger begonnenen Landreform - 20% des enteigneten Landes hatte Deutschen gehört),
- Einführung diverser Sozialprogramme, wie z.B. Beseitigung von Unterernährung und Armut, (jedes Kind soll täglich Milch bekommen), Einführung einer allg. Gesundheitsversorgung, Zugang zu Bildung und Kultur für Alle, Errichtung von Sozialwohnungen, Alphabetisierungskampagnen…
Alle Maßnahmen sollten mit der Umgestaltung des Staates zu einem Estado Popular einhergehen – einer Gesellschaft, in der die Macht in den Händen des Volkes liegt.
Chile wurde auf Druck der USA von der Kreditvergabe der Weltbank ausgeschlossen, Umschuldungen waren blockiert, Investitionen verhindert. Auch die BRD half fleißig mit, indem sie Entwicklungshilfe und Millionenkredite entfallen ließ.
Allende hat den Staats- und den Militärapparat weitgehend unangetastet gelassen, was sich 1973 bitter rächen sollte.
Ab 1971 /72 kam es zu einer massiven Wirtschaftskrise. Die Kupferbarone sabotierten die Regierungsmaßnahmen, ebenso die Fuhrunternehmer, Anschläge auf Infrastruktureinrichtungen häuften sich.
Am 29.06.1973 kam es zu einer Meuterei gegen Allende in der Armee, die niedergeschlagen werden konnte. Nachdem der Oberbefehlshaber der Landstreitkräfte aufgrund rechten Rucks zurücktrat, rückte Pinochet auf dessen Posten nach. Im August 1973 streikten die Einzelhändler und Kleinunternehmer, Frauen aus den besseren Vierteln Santiagos gingen mit leeren Kochtöpfen lärmend auf die Straße. Am 4.9. demonstrierten über 1. Mio. Menschen in Santiago für die Unidad Popular (UP).
Am 7.9.1973 versammelte Allende die chilenischen Generäle und teilte Ihnen mit, daß er eine Volksabstimmung durchführen lassen will, um den Konflikt zwischen ihm und der rechten Mehrheit im Parlament aufzulösen. Dies war das Signal für Pinochet, loszuschlagen. Obwohl die KP Chiles, Mitglied der Unidad Popular, mit einem Warn-Aufruf vor einem Putsch warnte, besetzte am 11.9.1973 das Militär Rundfunkstationen, Telefonzentralen, Treibstofflager und andere wichtige Einrichtungen.
Nach dem Putsch installierten die Faschisten unter den Augen der Weltöffentlichkeit ein Terrorregime mit eiligst errichteten Konzentrationslagern und dem Verbot aller demokratischen Parteien und Gewerkschaften. Zehntausende Gefolterte, Ermordete und Verschwundene waren das erste Resultat des chilenischen Faschismus. Zu den bekanntesten Opfern gehörten Pablo Neruda, Literaturnobelpreisträger, der nach neuesten Forschungsergebnissen aus diesem Jahr im Krankenhaus vergiftet wurde, und der Volkssänger Victor Jara.
In der Zeit von 1970 – 1973 hat die Regierung Allende andere Länder beim Aufbau des Sozialismus unterstützt. Für viele Länder sowohl in Südamerika als auch in Afrika war Chile zu einem Leuchtturm geworden. Auch in Europa fand der chilenische Versuch Interesse und Anerkennung. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang beispielsweise die in 1974 endende Diktatur Salazars in Portugal.
Wie verhielten sich die beiden deutschen Staaten?
Die DDR nahm 1971 gegen die Interventionen der BRD diplomatische Beziehungen mit der Regierung Allendes auf und schloss umfangreiche Handelsverträge inkl. Fachkräfteausbildungen in der DDR ab. Außerdem entstand bereits damals eine große internationale Solidaritätskampagne in der DDR, die später, also nach dem 11.9.73 noch erweitert wurde und über 5000 ChilenInnen politisches Asyl ermöglichte. Auf abenteuerlichen Wegen z.B. über Argentinien konnten Gesuchte mit Hilfe der DDR außer Landes und in Sicherheit gebracht werden. Die Unidad Popular richtete ihren Exil Sitz in Berlin, DDR ein.
Wie verhielt sich die Bundesrepublik Deutschland?
Schon lange vor 1973 diente die chilenische Einrichtung Colonia Dignidad, die mit den Namen des Sektengründers Paul Schäfer und Dr. Gerd Seewald verbunden war, vielen ehemaligen SS- Offizieren als neue Heimat. Bereits in den dreißiger Jahren gründete sich in Chile eine MNS – Movimento National-Socialista, deren Chef Oswald Spengler war. Diese Gruppe übernahm sowohl Programm als auch nach außen hin sichtbare national-sozialistische Kennzeichen. Ihre Zeitung hieß Deutsche Zeitung.
Nach dem 2. Weltkrieg gelang ca. 1000 Offizieren von SS, SA und Gestapo die Flucht nach Chile. In der DINA, der chilenischen Geheimpolizei, wurden sie „unsere deutsche Truppe“ genannt. Ihr Anführer war Walther Rauff, den Pinochet 1956 im Auftrag des Oberkommandos als Militärberater nach Chile holte, laut einem Bericht der ARD vom 3.9.23. Rauff hatte demnach mitgeholfen, einen effektiven Geheimdienst aufzubauen. Seine Truppe sollte Gegner spurlos verschwinden lassen. Unterstützt wurden diese Vorhaben auch durch illegale Transporte z.B. von Sarin von Frankfurt nach Santiago: „Die DINA hat mit dem BND sehr eng zusammengearbeitet.“ (ebd., ARD).
Eine Gruppe um Roberto Thieme gründete 1971 die rechts- terroristische Gruppe Patria y Libertad mit ihrem Organ CONDOR als Nachfolgerin der Deutschen Zeitung, die ebenfalls Pinochet unterstützte.
Eine umfassende Aufklärung dazu gibt es bis heute nicht, es wird gemauert, wo es geht. Selbst die Errichtung einer Gedenkstätte für die Opfer der Colonia Dignidad wird immer noch hinausgezögert. Der frühere SS-Mann Gerhard Mertins, seit 1956 für den BND aktiv, lieferte Waffen auch nach Chile und hatte enge Kontakte zu Schäfer und der Colonia Dignidad. Bis zu 100 Menschen sollen nach dem Putsch in der berüchtigten Kolonie ermordet worden sein, die Identität weiterer bis zu 1000 Personen ist ungeklärt. Das Verbrechen der Colonia Dignidad war ein doppeltes, zum einem gegenüber den Kolonie-Bewohnern und zum anderen als Hilfs- und Vollzugsorgan des chilenischen Regimes. Heute ist die ehemalige Colonia Dignidad ein Freizeit- und Erholungszentrum „Villa Baviera“. Auf der Homepage von TripAdvisor befindet sich dazu ein bemerkenswerter Kommentar: "Wie kann es sein, dass hier noch Geld erwirtschaftet wird auf den Gebeinen der Getöteten und warum werden keine Zahlungen geleistet, die von Geschädigten durch Rechtsurteile erstritten wurden? Macht man hier so weiter, wie man begonnen hat? Unwürdig! Keinen Cent würde ich hier lassen!"
Nach wie vor bremst das deutsche Außenministerium die Aufarbeitung, so ein Beitrag im ARD- Weltspiegel vom 16.4.23. Gemeint ist damit vor allem die Botschaft in Chile, die seit den 60 er Jahren von den Sektenverbrechen wußte und dennoch Schäfer jahrzehntelang unterstützte. Deutsche Diplomaten schickten geflüchtete Mißbrauchsopfer damals sogar zurück in die Fänge des Pädophilen und seines treuen Führungskreises. Im Hintergrund agiert bis heute auch die deutsch-chilenische Wirtschaftskammer, die mit Namen wie Schiess oder von Appen, Paulmann im Zusammenhang steht; viele deren Vorfahren kamen als Nazis vor 1945 oder flohen nach 1945 als Nazis nach Chile. Bundeskanzler Scholz hat Anfang 2023 diese Leute besucht, Treffen mit Opferorganisationen der Colonia Dignidad gab es hingegen nicht.
Nach dem Sturz Allendes wurde Chile ein großes Versuchslabor neoliberaler Wirtschaftskonzepte (Stichwort Chicago Boys - Milton Friedmann, (chicago boys) – es wurden Renten, Gesundheit, Strom, Wasser (Art. 19 der Verfassung von 1980 steht immer noch, daß die Inhaber von Wasserrechten zu deren Eigentümern werden) und Bildung privatisiert ebenso wie alle vorher enteigneten Unternehmen. Der Staat wurde heruntergefahren, zwischen 1973 und 1979 strich die Regierung ihre Ausgaben von 40% des Bruttoinlandsprodukts auf 26% zusammen. Chile sollte wieder zu einem reinen Rohstofflieferanten werden.
Der Widerstand in Chile, auch der Militärische entwickelte sich langsam und war trotz einiger spektakulärer Aktionen, wie z.B. einem Anschlagsversuch auf Pinochet am 7.9.1986 - nicht sehr erfolgreich, auch wenn Luis Corvalan, der damalige Vorsitzende der PC rückblickend feststellte, daß auch dieser Kampf einen Beitrag zur Beendigung der Diktatur geleistet habe.
1988 ließ Pinochet ein Referendum durchführen, das ihm erlauben sollte, bis 1997 an der Macht zu bleiben. So sah es die 1980 verabschiedete Verfassung vor. In dieser Verfassung wurde die Familie, der Markt und das Privateigentum über soziale Grundrechte, Gleichberechtigung und Umweltschutz gesetzt. Bei dem Referendum stimmten 56% mit NEIN, Pinochets Zeit endete. Die Zeit danach – von 1990 bis 2019 war durch verschiedene sozial-demokratische und rechte Regierungen und Präsidenten gekennzeichnet. Bis heute sind die Grundfesten dieses neoliberalen Gesellschaftsmodells nicht verändert worden.
Auszug aus Allendes letzten Rede:
„Ich bin sicher, daß die Saat, die wir im Bewußtsein Tausender und Abertausender Chilenen gesät haben, nicht vollständig ausgelöscht werden kann.“ Und: „Man kann weder durch Verbrechen noch durch Gewalt die gesellschaftlichen Prozesse aufhalten. Die Geschichte gehört uns, es sind die Völker, die sie machen.“
Der Film Mi Pais Imagninario – mein imaginäres Land ist auf diesem gezeichneten historischen Hintergrund „Pinochet Diktatur zwischen 1973 und 1989" entstanden: 40.000 Opfer, 3000 Verschwundene, 200.000 ins Exil Fliehende, Bücherverbrennungen in Chile. Die wenigsten Mörder wurden – auch in der Zeit ab 1990 – zur Rechenschaft gezogen. Der Filmemacher Patricio Guzmán – er war 1973 selbst 15 Tage lang politischer Gefangener im berüchtigten National-Stadion von Santiago - blickt auf die seit 2019 anhaltenden Proteste in Santiago de Chile. Ursprünglicher Auslöser des Widerstands war die Erhöhung der Preise für U-Bahn-Tickets, die für viele Chilenen offenbar das Fass zum Überlaufen brachte. Im Oktober startete die Bewegung, die bis zu 1,5 Millionen Menschen auf die Straße führte, die für mehr Demokratie, bessere Bildung, ein würdigeres Leben und eine neue Verfassung demonstrierten. Die Revolte hatte vor allem ein weibliches Gesicht!
Der zitierte Film geht über die gerade gehörten Erinnerungen hinaus – es geht um einen neuen Aufbruch, um eine neue Hoffnung.
Die Wahlen in Chile 2021
Bei den Wahlen im Dezember 2021 gewann der Kandidat des Mitte-Links Bündnisses Gabriel Boric (Sozialdemokrat) deutlich gegen den ultrarechten Jose Antonio Kast mit fast 9% Vorsprung – die Erwartungen waren groß.
Die vier Hauptschwerpunkte seines Wahlprogramms lauteten:
- Umweltschutz
- Feminismus
- Soziale Gerechtigkeit, z.B. Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit von 45 auf 40 Stunden
- Wohnungsbau, es fehlen mindestens 640.000 Wohnungen
Boric konnte sich von Anfang an nicht auf parlamentarische Mehrheiten stützen, was ihn zu Kompromiß um Kompromiß zwang. Von den Zielen der Allende Regierung ist heute fast nichts mehr zu hören, im Gegenteil – die Regierung läßt wieder Wasserwerfer gegen Demonstranten auffahren, verlängert die Ausnahmezustände in den Mapuche-Regionen. Außenpolitisch folgt eine Annäherung an die USA. Boric setzt sich, so ein Kommentator, zunehmend zwischen alle Stühle, er betreibt Neoliberalismus light.
Einige Beispiele dazu:
- Eine eine geplante Steuerreform, mit der Einnahmen für die Reformprojekte erzielen werden sollten ist gescheitert, frühestens 2024 kann es einen neuen Versuch geben;
- Die Aufhebung des Ausnahmezustands in den Mapuche-Gebieten war zugesagt und wurde nicht eingehalten. Auch einen Autonomiestatus gibt es bisher nicht (wobei die Mapuche ein anderes Verständnis von Land, Leben, Staat haben) und
- die Befugnisse der umstrittenen Militär Polizei „Carabineros“ wurden unter Boric ausgebaut, der Schußwaffen Einsatz erheblich erleichtert. – law and order in Chile 2023.
Die Popularität des Präsidenten lag Anfang 2023 bei 35% Zustimmung. Aufgrund der politischen Niederlagen hat er sein Kabinett inzwischen umgebaut. Auch in Chile gibt es massive migrationsfeindliche und rassistische Stimmungen – der Druck insbesondere von Menschen auf der Flucht aus Venezuela ist groß.
Von der Euphorie, die ab Okt. 2019 die chilenische Gesellschaft ergriff, ist nicht mehr viel übrig, die Revolte ist im Sand verlaufen. Zunächst sah das anders aus, eine junge Massenbewegung eroberte öffentliche Räume, organisierte sich vor allem in den Städten, kämpfte gegen staatliche Repression und setzte eine Volksabstimmung durch, in der die Mehrheit für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung stimmte.
Ein Konvent erarbeitete einen Entwurf, der die alte Verfassung noch aus Pinochets Zeiten stammende endgültig beseitigen sollte. Darin wären enthalten gewesen Recht auf Wohnraum, Bildung, Gesundheit, eine Frauenquote von 50% in allen Staatsorganen und ein Selbstbestimmungsrecht für indigene Gemeinschaften (ca. 15% der Bevölkerung). enthalten gewesen Mit der Wahl von Gabriel Boric zum Präsidenten verband sich auch die Hoffnung, diese neue Verfassung zum Erfolg führen zu können. Beim Referendum am 4.9.22 stimmte die Mehrheit (62%) mit NEIN.
Amanada Jara, eine Tochter Victor Jaras äußerte sich in einem Interview wie folgt: „Das war äußerst schwierig und verwirrend. Nur etwa 20% haben es unterstützt. Es war sehr schwer zu verstehen, was am Wahltag passiert war. Einige sagen, daß Putsche heutzutage über die Medien, mit Fake News und einer Umgebung voller Lügen und Informationskampagnen ablaufen. Es wäre interessant, dies genauer zu analysieren, denn wir haben bisher nicht die notwendige Selbstkritik geübt. Es gab viel Identitätspolitik, die uns spaltete und uns vom großen Projekt ablenkte.“ jw vom 5.10.2023
Nach jetzigem Stand ist eine progressive Verfassung in weite Ferne gerügt. Ein Kommentar des Sozialwissenschaftlers Goiovic dazu: „Es wäre nicht verwunderlich, wenn die neue Verfassung größere polizeiliche Befugnisse gegen Protestierende und Migranten formulieren würde, während ein breiter operativer Rahmen für lokale und ausländische Kapitalinvestitionen ins Auge gefaßt wird und im Gegenzug dem Progressismus einige Brosamen in Fragen der Interkulturalität und der Gleichstellung der Geschlechter gewährt werden.“
Das Bemühen um eine neue Verfassung
Am 17.12. 23 - soll es einen zweiten Versuch geben. Dabei erstarkt die Rechte angesichts eines Regierungsbündnisses, das sich mit dem Erbe der sozialistischen Regierung Allende nach wie vor schwertut. Es gibt jetzt einen Verfassungsrat. Am 7.5.23 hat die rechte Republikanische Partei mit Jose Antonio Kast, einem Sohn eines ehemaligen Wehrmachtoffiziers 22 der 51 Sitze gewonnen und kann damit zusammen mit anderen rechten Vertretern mit insgesamt 33 Mandaten jeden Fortschritt verhindern. Die Vereinigte Linke – Unidad para Chile kam auf 17 Sitze und hat damit nicht einmal eine Sperrminorität. Der jetzige Rat hat weniger Kompetenzen als die vorige Versammlung, er ist weniger repräsentativ, weil er dem Senatswahlverfahren nachgebildet ist und das Volk selbst ist nicht einbezogen. Durch den vom jetzigen Präsidenten Boric mit der konservativen Mehrheit in Parlament und Senat eingegangenen Kompromiß sollte man sich keine Illusionen machen, progressive, linke Elemente in dem neuen Verfassungsentwurf zu finden, Ja, es besteht sogar die Befürchtung, daß die jetzige Vorlage noch hinter der der Verfassung von 1980 zurückbleiben könnte, laut Aussagen von VertreterInnen der Bewegung des Zugangs zu Wasser, Land und Umweltschutz (Modatima), JW vom 23./24.9.23.
Der Verfassungsprozess ist schlecht organisiert, die Zeit zu kurz, jetzt eine Pflicht abtstimmung ohne Wissen … so seine Kritikerinnen.
2023 hat der oberste Gerichtshof sechs pensionierte Armeeoffiziere wg. der Entführung und Ermordung des Liedermachers Victor Jara endgültig verurteilt zu jeweils 15 Jahren und einem Tag Gefängnis wg. Mordes und jeweils zu 10 Jahren und einem Tag wg. schwerer Entführung. Also endlich, nach fast 50 Jahren – ähnlich wie die Dauer der Verfolgung von Nazis und Kriegsverbrechern hierzulande. Kurz vorher hatte der Gerichtshof bereits Angehörigen der ermordeten Leibwächter Allendes Entschädigungen zugesprochen.
In Chile selbst versuchen rechte Parteien auch in diesem Jahr wieder Rechtfertigungsresolutionen für den Putsch im Parlament durchzusetzen. Auch heute noch spaltet das Thema die ChilenenInnen.
Die in Chile selbst 2023 durchgeführten staatlichen Gedenkveranstaltungen waren sehr gemischt. So schrieb die span. Journalistin Carmen Rendon z.B. für RT: „Bei den chilenischen Linken handele es sich um eine entkoffeinierte bürgerliche und verängstigte Linke, die die Basis des sozialen Aufbruchs nicht kennt oder verstehen will.“ JW vom 11.9.23 S. 7.
Öffentliche Ordnung, Sicherheit, Migration und Wirtschaft gelten als die größten Probleme des Landes. Vertiefende Beschreibungen und Analysen sind ergänzenden und weiterführenden Veröffentlichungen vorbehalten.
Zum Thema
https://www.rosalux.de/news/id/49595/warum-haben-die-chileninnen-den-verfassungsentwurf-abgelehnt
https://www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de/article/4040.rechazo-in-chile.html?sstr=Chile
https://www.blaetter.de/ausgabe/2022/september/chile-als-avantgarde
https://kommunisten.de/rubriken/kultur/8912-chile-cybersyn-und-die-santiago-boys
Zum Titelbild: Angefertigt von der Künstlergruppe Brigade "Salvador Allende", 1976
Standort: Audimax der Universität Bielefeld