Jeder genannte Fakt ist ein Statement, jede Auslassung eine Stellungnahme.
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Nach diesem Motto fluten aktuell Kriegs- und Protestbilder unsere Nachrichten. Täglich sehen wir Bomben, Blut und Aggressionen. Souverän wirkende Journalisten sind um Faktentreue bemüht, bieten objektive Nachrichten und ordnen Geschehnisse ein. Sie präsentieren uns Täter und Opfer, Aggressoren und Verteidiger, Feinde und Alliierte, Terroristen und Freiheitskämpfer.
Diese Zuschreibungen geben uns Orientierungshilfe und sie verleihen Nachrichtensendungen wie der „Tagesschau“ oder Kommentatorinnen wie Julia Ruhs Einfluss. Denn egal bei welchem Thema – Krieg, Migration oder Protest, ihre Informationen formen unsere Meinung, und ihre Bilder haben Deutungsmacht. Das ist gut, das ist ihr Job.
Denn Nachrichten brechen komplexe Zusammenhänge herunter, vermitteln, was wichtig ist, und ordnen ein. Hier scheint aber die Frage berechtigt: Geht das überhaupt objektiv? Ist nicht jede Einordnung auch ein Werturteil, jeder Fakt ein Statement und jede Auslassung eine Stellungnahme? Das sind wichtige Fragen. Vor allem in Kriegs- und Krisenzeiten gehen die oft unter.
Kürzlich fragte die Süddeutsche Zeitung (SZ) immerhin nach der Macht der Bilder. Im Beitrag „Krieg im Fernsehen: Die trübe Evidenz der Bilder“ ist ihr Fazit kritisch. Zwar gebe es einen Unterschied zwischen dem „propagandistischen Stakkato“ sozialer Medien und der „erzählerischen Instanz“ der Kriegsberichterstattung großer Sender. Trotzdem entstehe nach einer Woche Nachrichtenkonsums über den Krieg in Israel und Gaza „ein merkwürdiges Verhältnis von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, von Evidenz und Interpretation“.
Denn wie jeder Krieg ist auch dieser Teil der Choreografie der Fernsehnachrichten. Das heißt, alle Bilder werden produziert, ausgewählt und in Szene gesetzt. Zufälle gibt es kaum. So wird jeder Krieg – auch der in der Ukraine – eine mediale Inszenierung, die es zu hinterfragen gilt. Dasselbe gilt wohl für die tausend Worte, die diese Inszenierung tragen.
NDR-Dokumentarfilm „Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord“
Wie kompliziert die Beziehung zwischen Geschichte, Gegenwart und medialer Darstellung ist, zeigt ein anderer Fall an einem anderen Ort. Ende September strahlte der Norddeutsche Rundfunk (NDR) den Dokumentarfilm „Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord“ aus. Er soll die Folgen deutscher Kolonialgeschichte zeigen. Es gehe um „Ungeheuerliches“, um „Schuld“ und „Vergebung“, so die Kurzbeschreibung. Das sind schwierige Themen und hohe Ziele. Leider verfehle der Film beides, meinen die 170 Erstunterzeichner:innen eines offenen Briefes an den NDR.
Der Film sei „eine oberflächliche, in allen wichtigen Fragen völlig unreflektierte und bei vielen Sachdarstellungen faktisch falsche Präsentation“ geschichtlicher Gegenwart, so die harte Kritik. Hinter ihr stehen Wissenschaftler, Historiker und der einstige deutsche Botschafter in Namibia. Seit Jahren arbeiten sie für die Aufarbeitung deutsch-namibischer Geschichte. Diese kennen sie im Detail und gehen im Brief Punkt für Punkt durch, was die Doku nicht oder falsch darstellt. Eine Blamage für den NDR, vor allem weil der Film intern wohl als Marketing-„Flaggschiff“ gehandelt wird. Am Ende zeigt aber auch dieses Beispiel, wie schwer die mediale Darstellung sozialer Komplexität ist. Das heißt, im Kampf um Zuschauer erzählt selbst ein Film nicht unbedingt mehr als tausend Worte.
Erstveröffentlichung berliner-zeitung