Fachkräftemangel ist ein Dauerthema in den Medien. Dazu ein aktuelles Beispiel: Die Hofpfisterei in München schließt Geschäfte. „Auch andere Bäckereiketten schließen im Moment fleißig ihre Filialen wegen des Personalmangels“, meldet der Münchener Merkur www.merkur.de/lokales/muenchen/schliessen-muenchner-hofpfisterei-muss-drei-filialen-92305710.html
„Fehlende Fachkräfte bleiben nicht folgenlos. Dies gilt für die betroffenen Unternehmen, aber auch für die Volkswirtschaft als Ganzes. Es stehen Wachstums- und Wohlfahrtspotenziale ebenso wie öffentliche Einnahmen auf dem Spiel, wenn Personalknappheiten die an sich mögliche Produktion und das Dienstleistungsangebot beschränken“, bemängelt die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK). Insgesamt erwarten 85 Prozent der Betriebe unterschiedliche negative Effekte infolge von Fachkräfteengpässen, so die DIHK.
Über die Gründe sagen die Unternehmen und ihre Lobbyisten wenig.
„Facharbeitermangel ist heute das Schlagwort, das so verwendet wird, als sei es ein überraschendes Naturereignis. Was aber tatsächlich absehbar war und von den Verantwortlichen nur zu lange verdrängt statt angegangen“, beschreibt Wirtschaftswoche-Redakteurin Claudia Tödtmann https://blog.wiwo.de/management/2023/05/21/682246/
Eine Rolle spielt der demografische Wandel. Dabei ist es recht einfach auszurechnen, wann nach der Geburt mit einem Schulabschluss, mit der Berufsaufnahme und wann mit dem Renteneintritt gerechnet werden kann.
Gleichzeitig haben Unternehmen die Zahl der Ausbildungsplätze reduziert. Die Quote erfolgloser Nachfragender nach einer Ausbildung lag 2021 immer noch bei 12,5 %, also mehr als 67.000 junge Menschen. Rund ein Achtel der Nachfragenden für Ausbildungsplätze bleiben ohne Zugang zu einer Berufsausbildung. „Die Wirtschaft hat sich sehr daran gewöhnt, sich die besten Bewerberinnen und Bewerber aussuchen zu können. Die Banken sagten irgendwann: Ich will nur noch Bewerberinnen und Bewerber mit Abitur. Sie könnten aber auch Jugendliche mit einem anderen Abschluss ausbilden, wenn sie sich etwas bemühen. In vielen Fällen ist bei den Betrieben beim Ausbilden von Schwächeren Luft nach oben“, beschreibt der Bildungsforscher Professor Klaus Klemm die Situation https://www.haufe.de/personal/hr-management/ausbildung-warum-so-viele-azubis-keinen-ausbildungplatz-finden_80_395932.html
Wie schlecht die Arbeitsbedingungen in vielen Branchen sind, spielt in Medienberichten zu „Fachkräftemangel“ selten eine Rolle. Zu den fünf Berufen mit den schlechtesten Bewertungen im DGB Ausbildungsreport 2022 gehören: Kauffrau/-mann im Einzelhandel, Hotelfachfrau/-mann, Köchin/Koch, nur knapp darüber liegt der Beruf als Verkäuferin/Verkäufer.18 Ähnliche Ergebnisse zeigen sich seit Jahren, sowohl bei der Zufriedenheit als auch bei der Ausbildungsqualität. Es sind genau die Branchen, die am lautesten über den Fachkräftemangel klagen https://www.dgb-bestellservice.de/ausbildungsreport-2022.html).
Die Forderungen der Gewerkschaftsjugend nach einer Ausbildungsplatzabgabe für Unternehmen werden weiter ignoriert – der Slogan
„Wer nicht ausbildet, muss zahlen“, ist aktueller denn je.
Die Folgen fehlenden Personals treffen die Beschäftigten in besonderer Form. Das zeigt der neue DAK-Gesundheitsreports: Jeder zweite Angestellte (45 Prozent der Beschäftigten) erlebt danach regelmäßig Personalmangel im eigenen Arbeitsbereich. Die Verbliebenen im Hamsterrad bei Betrieben mit Personalmangel sind oft oder sehr oft müde und erschöpft (54 Prozent). Rund ein Drittel (35 Prozent) hat nachts Schlafstörungen oder Beschwerden des Muskel-Skelett-Systems, wie Rückenschmerzen, und fast jeder Vierte (23 Prozent) leidet unter Kopfschmerzen.
Personalmangel im Unternehmen macht die Verbliebenen krank.
Und die Reaktion der Unternehmen: Aussitzen…
Aber auch Bundesregierung und Landesregierungen fehlt es an Strategien.
Als »völlig falsches Signal« hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) bewertet, dass die Finanzierung der geplanten Kindergrundsicherung im Haushalt von Finanzminister Christian Lindner (FDP) offenbar nicht geklärt sei. Das Projekt der Bundesregierung droht dem Sparkurs des Finanzministers zum Opfer zu fallen. „Dabei braucht die Gesellschaft endlich eine klug finanzierte Kindergrundsicherung, um Perspektiven für Kinder und Jugendliche zu schaffen sowie ihnen Bildungserfolge und Teilhabe zu ermöglichen. Das gilt insbesondere für Kinder aus armen Familien«, sagt GEW-Vorsitzende Maike Finnern (www.gew.de/aktuelles/detailseite/das-voellig-falsche-signal). Die Leistungen für Kinder müssten nicht nur gebündelt, sondern auch solide finanziert werden, um die ebenso richtigen wie ambitionierten Ziele, die an die Kindergrundsicherung geknüpft sind, zu erreichen.
»Gut jedes fünfte Kind in Deutschland ist von Armut bedroht. Diese erschreckende Zahl macht deutlich, wie dringend ein umfassender Handlungsbedarf ist. Im Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung dazu bekannt, mit der Kindergrundsicherung bessere Chancen für Kinder und Jugendliche zu schaffen und mehr Kinder aus der Armut zu holen. Dass nun ausgerechnet auch bei dem größten sozialpolitischen Projekt der Bundesregierung offenbar der Rotstift angesetzt werden soll, ist verantwortungslos«, betont Finnern. Die Auswirkungen im Bildungsbereich sind offensichtlich.
Aber: Wie sich die Zeiten geändert haben, ist vielen Unternehmern noch nicht klar. Vor kurzem holte Roland Mack, Chef des Europaparks im badischen Städtchen Rust, in einem Interview in der „Basler Zeitung“ zum Rundumschlag aus: Der 72-jährige kritisierte Work-Life-Balance und geißelte die Beschäftigten: „Da kommen 25-Jährige und wollen nur drei Tage arbeiten“, schimpfte Mack. Ein Teil der Personalplanung ist die Personalbeschaffung.
„Wenn die Ware – also die Arbeitskraft – knapp ist, kostet sie mehr“, spricht Luise Klemens vom Ver.di-Landesbezirk Bayern eine Wahrheit aus, die den Unternehmen weh tut!