Die EU konkretisiert ihr milliardenschweres Infrastrukturprogramm „Global Gateway“ mit mehreren „Leuchtturmprojekten“ und sucht sich insbesondere in Zentralasien als Konkurrentin zu China zu etablieren. Der chinesische Präsident Xi Jinping hatte im Jahr 2013 in Kasachstan das Großprojekt „One Belt, One Road“ („Neue Seidenstraße“) angekündigt. In den folgenden Jahren ist es der Volksrepublik gelungen, ihren Einfluss in Zentralasien erheblich auszubauen. Die EU will nun „nachhaltige Transportkorridore“ aus Europa in die Region errichten und nimmt zudem konkrete Vorhaben in einzelnen Ländern ins Visier. So will sie in Tadschikistan mit dem Rogun-Staudamm ein Schlüsselprojekt für die Energieversorgung des Landes zum Abschluss bringen. In Kasachstan wiederum zielt sie auf den Rohstoffsektor, während sie in der Mongolei die Stromversorgung unterstützen will. Brüssel bewirbt seine Projekte als „wertebasierte Infrastruktur“. Bei „Global Gateway“ handelt es sich bereits um den dritten Anlauf der EU, mit Hilfe von Infrastrukturprojekten ihren Einfluss in Zentralasien auf Kosten der angrenzenden Großmächte Russland und China auszubauen.

„Global Gateway“

Im September 2021 beschloss die EU-Kommission unter ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen (CDU) das Programm „Global Gateway“. Bis zum Jahr 2027 sollen im Rahmen dieser Initiative rund 300 Milliarden Euro in die Infrastruktur verschiedener Länder in Afrika, Asien, Ozeanien, Südosteuropa sowie Süd- und Mittelamerika investiert werden. Die Initiative sei „stark von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geprägt“, hieß es jüngst in einem Pressebericht.[1] Im März dieses Jahres veröffentlichte die EU-Kommission nun „Leuchtturmprojekte“, auf die sie sich im Rahmen von „Global Gateway“ konzentrieren will. Mit Kasachstan, Tadschikistan und der Mongolei liegt einer der Schwerpunkte der EU-Initiative in Zentralasien.

Reaktion auf China

„Global Gateway“ gilt als eindeutig „geopolitisch geprägt“ und wird als „Gegeninitiative zur neuen chinesischen Seidenstraße“ eingestuft, dem 2013 vom chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping in Kasachstan vorgestellten Projekt „One Belt, One Road“.[2] Das Motto der Europäischen Union sei es, so wird behauptet, „(keine) Kreditfallen, keine politische Abhängigkeit“ zu schaffen.[3] In einer gemeinsamen Veröffentlichung verschiedener EU-Institutionen bewirbt die Union ihre Initiative als „wertebasierte Option für die Deckung ihres Infrastrukturbedarfs bieten“.[4]

Tadschikistan

Das wohl ambitionierteste „Leuchtturmprojekt“ der Initiative befindet sich in Tadschikistan. In dem von ständigem Strommangel geplagten Land wird seit 1976 der Rogun-Staudamm gebaut. Dieser soll mit aufgestautem Wasser des Flusses Wachsch, einem Nebenfluss des Amudarjas, Strom produzieren; er wäre nach der Fertigstellung die höchste Talsperre der Welt. Von Mitte der 1990er Jahre bis 2007 waren russische Konzerne am Bau des Staudamms beteiligt.[5] Derzeit ist der italienische Konzern Webuild mit dem Weiterbau der Talsperre beauftragt. Aufgrund von finanziellen Engpässen der tadschikischen Staats – er ist der ärmste unter den postsowjetischen Ländern – stockt der Bau aber immer wieder.[6] Sollte es der EU gelingen, den Staudamm mit ihren Mitteln fertigzustellen, wäre dies ein Punktsieg im geostrategischen Ringen um Einfluss in Zentralasien. Bislang spielt die EU im tadschikischen Außenhandel nur eine geringe Rolle. Laut Daten der Asiatischen Entwicklungsbank (Asian Development Bank, ADB) gingen im Jahr 2021 die meisten tadschikischen Exporte nach Kasachstan, die zweitmeisten in die Türkei. Bei den Importen führte Russland vor Kasachstan.[7] Trotz Tadschikistans gemeinsamer Grenze mit China spielt die Volksrepublik wirtschaftlich keine herausragende Rolle in dem Land – und dies sucht die EU sich nun offenkundig zunutze zu machen, indem sie sich des Schlüsselprojektes Rogun-Staudamm annimmt. Deutschland nimmt darüber hinaus bei der Entwicklungshilfe für Tadschikistan und als Schwerpunkt-Exilort der tadschikischen Opposition einen wichtigen Stellenwert ein.[8]

Kasachstan

Mit Kasachstan sucht die EU-Kommission im Rahmen von „Global Gateway“ eine Kooperation in den Bereichen Rohstoffe, Batterien und grüner Wasserstoff zu etablieren. Obwohl Kasachstan gemeinsam mit Belarus und Russland Teil der Eurasischen Wirtschaftsunion ist, ist es wirtschaftlich eng an die EU angebunden. Aufgrund seines hauptsächlich nach Westen ausgerichteten Gasexports gingen im Jahr 2021 nach ADB-Angaben in etwa so viele Exporte in die EU (hauptsächlich Italien, Niederlande und Frankreich) wie nach Russland und China zusammen. Bei den Importen dominierte zwar Russland, doch stand Deutschland auf der kasachischen Einfuhrstatistik bereits auf dem vierten Platz.[9] Für die Bundesrepublik ist das flächenmäßig größte Land Zentralasiens einer der wichtigsten Erdöllieferanten. Seit 2012 besteht eine „Rohstoffpartnerschaft“ zwischen Berlin und Astana – eine von mehreren deutsch-kasachischen Kooperationsformaten.[10]

Mongolei

Ein weiteres Zielland der „Global Gateway“-Initiative ist die zwischen Russland und China gelegene Mongolei, laut der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe eines der „rohstoffreichsten Ländern der Erde“.[11] Dort will die EU-Kommission eine 220 Kilometer lange Strom-Übertragungsleitung von Tschoir nach Sainschand im Südosten des Landes fördern. Darüber hinaus soll eine Partnerschaft im Bereich Forstwesen entstehen. Aus der Mongolei gingen im Jahr 2021 drei Viertel aller Exporte nach China; weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz der Ausfuhrstatistik landete laut der ADB die Schweiz. Bei den Importen dominierten China und Russland.[12] In der mongolischen Wirtschaft spielte Deutschland nie eine bedeutende Rolle. Ulan Bator ist aber ein Fokus der parteinahen deutschen Stiftungen sowie von offiziellen Organisationen wie der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) und der BGR. Im vergangenen Jahrzehnt zeigte die Bundeswehr in der Mongolei darüber hinaus durch einen Ausbildungseinsatz Präsenz.[13]

Zentralasien allgemein

Neben den länderfokussierten Ansätzen will die EU-Kommission im Rahmen von „Global Gateway“ in Zentralasien allgemein eine bessere Satellitenanbindung sowie Bodenstationen für Satellitensysteme und Datenzentren fördern. Darüber hinaus sollen „nachhaltige Transportkorridore“ zwischen der Region und Europa errichtet werden. Im Frühjahr dieses Jahres hatte ein Arbeitskampf usbekischer Lastwagenfahrer auf einer Raststätte nahe der hessischen Stadt Darmstadt die mediale Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass EU-Transportkonzerne auf zentralasiatische Lkw-Fahrer setzen, um Güter innerhalb der EU, aber auch zwischen der EU und Zentralasien zu transportieren.[14] Längst gibt es durchgehende Straßen aus der EU direkt ins Innere Asiens: So führt die Europastraße 40, die längste der sogenannten Europastraßen, aus Deutschland über Usbekistans bis in den Osten Kasachstans.

Der dritte Anlauf

Bereits in den 1990er und den 2010er Jahren gab es Anläufe der Europäischen Union, mit Hilfe von Infrastrukturprojekten in Zentralasien an Einfluss zu gewinnen. 1992/1993 startete sie das Projekt TRACECA, für das jedoch anfangs nur wenig Finanzmittel im EU-Budget vorgesehen waren. Mit einer im Jahr 1998 von der EU-Kommission organisierten Konferenz in Baku, der Hauptstadt des autoritär regierten Aserbaidschans, sollte das Projekt mehr Aufmerksamkeit und mehr Finanzmittel erhalten. Die Tagung stand unter dem Motto „Restauration der Historischen Seidenstraße“.[15] Ursprünglich lag der Schwerpunkt des Programms auf Transportinfrastruktur wie Eisenbahnlinien, Häfen und Straßen. Auf der Konferenz in Baku im Jahr 1998 gelang es der aserbaidschanischen Regierung, Fragen des Gas- und Öltransports stärker in den Fokus zu rücken.[16] Ein von der EU kofinanziertes Sekretariat nahm 2001 in Baku seine Arbeit auf. Die Initiative verlief allerdings letztlich im Sande.[17] 2018 versuchte Brüssel es kurzzeitig mit einer neuen „EU-Asien-Konnektivitätsstrategie“, von der es mittlerweile heißt, sie habe „nie richtig Fahrt auf[genommen]“.[18] Mit „Global Gateway“ gibt es nun den dritten Anlauf der EU, in der Region stärker Fuß zu fassen. Mit dem Fokus auf Rohstofffragen fügt sich die Initiative in die deutsche Außenpolitik in der Region ein.

 

[1] Tobias Schwab: EU-Antwort auf Chinas „Seidenstraße“: Global Gateway-Initiative nimmt Gestalt an. fr.de 02.06.2023.

[2] Andrea Sellmann, Mary Abdelaziz-Ditzow: Wie „Global Gateway“ China Konkurrenz macht. capital.de 11.02.2023.

[3] Christiane Kühl: Global Gateway: EU will mehr Einfluss durch strategische Investitionen – Antwort auf Chinas Seidenstraße. merkur.de 23.01.2022.

[4] Gemeinsame Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank: Global Gateway, eur-lex.europa.eu 01.12.2021.

[5] Russia's Central Asia Energy Strategy Experiences a Few Setbacks. eurasianet.org 11.05.2007.

[6] Tajikistan: Families freeze while energy independence chimera remains ever distant. eurasianet.org 14.12.2022.

[7] Key Indicators for Asia and the Pacific 2022: Tajikistan. adb.org 24.08.2022.

[8] Siehe dazu Frischer Wind auf der Seidenstraße (II).

[9] Key Indicators for Asia and the Pacific 2022: Kazakhstan. adb.org 24.08.2022.

[10] Siehe dazu Militärtransporter für Kasachstan

[11] Mongolei – Beratung für ein nachhaltiges Rohstoffmanagement. bgr.bund.de (ohne Datum).

[12] Key Indicators for Asia and the Pacific 2022: Mongolia. adb.org 24.08.2022.

[13] Siehe dazu Starke Präsenz, wenig Geschäfte

[14] Gregor Haschnik: Aufstand der Ausgebeuteten. fr.de 31.03.2023

[15] Samuel James Lussac: Ensuring European Energy Security in Russian ‘Near Abroad’: The Case of the South Caucasus, in: European Security, Jg. 19 (2010), Nr. 4, S. 607–625 (hier: S. 610).

[16] Flemming Splidsboel-Hansen: GUUAM and the Future of CIS Military Cooperation, in: European Security, Jg. 9 (2000), Nr. 4, S. 92–110 (hier: S. 100).

[17] Jörg Kronauer: EU fordert China heraus, in: junge Welt, 28.09.2018.

[18] Christiane Kühl: Global Gateway: EU will mehr Einfluss durch strategische Investitionen – Antwort auf Chinas Seidenstraße. merkur.de 23.01.2022.