Die Gasumlage soll systemrelevante Energieversorger, die in der Vergangenheit günstiges russisches Erdgas nach Deutschland importiert haben, vor der Pleite retten. Sie bekommen im Zuge der Sanktionspolitik und des Wirtschaftskrieges nur noch einen Bruchteil der vertraglich zugesicherten Liefermengen. Gleichzeitig haben sie ihren Abnehmern wie Stadtwerken genau dieses Gas versprochen. Um die Versorgung aufrechtzuerhalten, müssen sie kurzfristig Gas an der Börse teuer hinzukaufen. Die Folge: Bei den Importeuren sind erhebliche Verluste entstanden. Beim größten Gasimporteur Uniper war die Lage so dramatisch, dass noch vor Einführung der Umlage ein milliardenschweres Rettungspaket nötig wurde. Bundeswirtschaftsminister Habeck (Grüne) bezeichnete die Umlage als eine "bittere Medizin", aber als die "möglichst gerechte Form", um einen Zusammenbruch des deutschen Energiemarktes zu vermeiden.
Verbraucher*innen subventionieren die Konzerne
2,419 Cent pro Kilowattstunde werden vom 1. Oktober für alle Gaskunden, Privathaushalte ebenso wie Firmen, als Aufschlag auf den ohnehin drastisch gestiegenen Gaspreis fällig. Für einen Einpersonenhaushalt mit einem Jahresverbrauch von 5.000 Kilowattstunden bedeutet die Umlage ohne Mehrwertsteuer jährliche Zusatzkosten von rund 121 Euro; mit sind es rund 144 Euro. Für einen Familienhaushalt mit einem Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden liegen die Mehrkosten bei rund 484 Euro im Jahr; incl. Mehrwertsteuer, sind es 576 Euro - für viele Haushalte neben den explodierenden Gaspreisen nicht mehr bezahlbar. Der Mieterbund warnte vor Kurzem, dass ein Drittel der Deutschen ihre Energierechnungen voraussichtlich nicht mehr bezahlen kann. Was hilft es da, wenn Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Sozialleistungen für Bedürftige aufstocken möchte? Die Not geht schließlich weit über die Empfänger von Wohngeld und Hartz IV hinaus. Mit der Gasumlage kommen Millionen Verbraucher*innen für die Risiken der Energieversorger auf, während die Milliardengewinne an die Aktionär*innen ausgeschüttet wurden. Kapitalismus eben: Die Gewinne den Eigentümer*innen, die Verluste der Gesellschaft.
"Zur Zeit habe ich allerdings auch den Eindruck, daß manche Kategorien marxistischer Theorie und auch manche Konzepte der Stamokap-Theorie vor dem Vergessen gerettet und manche wieder in Erinnerung gerufen werden müssen." Jörg Huffschmid, 1998
34 Milliarden für die Konzerne
Die Bundesregierung verkaufte die Gasumlage mit dem Argument, Gasversorger vor der Insolvenz retten zu müssen. Am Montag (22.8.) veröffentlichte das Unternehmen Trading Hub Europe, das die Umlage im Auftrag des Wirtschaftsministeriums organisiert, die Namen der Firmen, die in den Genuss der Umlage kommen. Nun zeigt sich: Es profitieren auch Konzerne, denen es richtig gut geht. Solange sie im Gasgeschäft Verluste haben, dürfen sie mit Milliarden aus der Umlage rechnen – auch wenn sie ansonsten Rekordgewinne verzeichnen. Zwölf Gasimporteure wollen bis Anfang April 2024 zunächst rund 34 Milliarden Euro aus der Gasumlage, teilweise aufgrund von Schätzungen.
Die Liste
- Axpo Solutions AG - größter Energiekonzern der Schweiz
- DXT Commodities S.A. - internationaler Gashändler mit Sitz in der Schweiz
- EWE Trading Gmbh - Unternehmenstochter von EWE, dem fünftgrößten deutschen Energieversorger
- ENET Energy SA - Öl- und Erdgaslieferant mit Sitz in der Schweiz
- Gunvor Group - viertgrößter Ölhändler der Welt mit Sitz in Zypern
- OMV Gas Marketing & Trading Deutschland GmbH
- SEFE Marketing und Trading Ltd. - ehemals Gazprom Germania, der verstaatliche Anteil des Deutschland-Geschäfts von Gazprom
- Uniper SE
- Vitol SA - Rohstoffhändler mit Sitz in den Niederlanden, einer der größten Akteure auf dem Weltmarkt
- VNG Handel & Vertrieb GmbH - Tochter des Energiekonzerns Enbw
- WIEH GmbH - Tochterunternehmen des deutschen Gas- und Ölkonzerns Wintershall Dea; zu 67 Prozent in der Hand von BASF, die restlichen 33 Prozent gehören dem russischen Oligarchen Michail Fridman
- Als zwölftes Unternehmen in der Liste vertreten ist die RWE-Tochter RWE Supply & Trading GmbH, aber der Energiekonzern hat bereits angekündigt, die Gasumlage nicht in Anspruch nehmen zu wollen. Eine Sprecherin von RWE sagte der Nachrichtenagentur AFP, das Unternehmen sei "formal gelistet". Das sei eine "reine Vorsichtsmaßnahme", falls "die Dinge sich ändern".
Selbst gut verdienende Unternehmen bekommen Staatshilfen und machen Milliardengewinne mit der Gasumlage. EnBW rechnet trotz steigender Energiekosten in diesem Jahr mit einem Milliardengewinn, hat jüngst seine Dividende erhöht und freut sich über einen seit Jahresbeginn um knapp 30 Prozent gestiegenen Aktienkurs. Auch der Energieversorger und Mineralölkonzern OMV hat von den hohen Öl- und Gaspreisen stark profitiert und Umsatz und Gewinn im ersten Halbjahr mehr als verdoppelt. Derzeit ist ein Umbau im Gange und die OMV will weg von der Energieversorgung hin zu einem Chemieunternehmen. Ein Teil der dafür nötigen gewaltigen Umbauinvestitionen kommt jetzt von deutschen Gaskund*innen. Axpo und Gunvor haben ihren Umsatz im ersten Halbjahr 2022 laut Handelsblatt um 100 beziehungsweise 200 Prozent gesteigert. Die Schweizer Axpo weist für das erste Halbjahr einen Gewinn von rund einer halben Milliarde Schweizer Franken aus. Unter den Profiteuren der Gasumlage befindet sich auch das viertgrößte Ölhandelsunternehmen der Welt, die in Zypern beheimatete Gunvor.
Wirtschaftsministerium: "Ein Unternehmen braucht Gewinne, um sich breiter aufzustellen."
Bei Twitter schreibt der Journalist Tilo Jung, dass ihm das Wirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) bei der Bundespressekonferenz bestätigt habe, dass "eine drohende Insolvenz" kein Kriterium für Unternehmen sei, die sich für die Umlage registrieren. "Konzerne, die immer noch fette Profite machen, können mitmachen und ihre Gewinne auf Kosten der Bürger absichern", schreibt Jung. "Eine drohende Insolvenz gehört nicht" zu den Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit "ein Unternehmen Ansprüche geltend machen kann", verlautet auch die Trading Hub Europe.
Das ist Stamokap
Wie heißt es in der einschlägigen Literatur zum Staatsmonopolistischen Kapitalismus (Stamokap): Der Stamokap ist charakterisiert durch die "Verflechtung der Macht des Staates mit der Macht der Monopole".
Im Staatsmonopolistischen Kapitalismus beschränkt sich die ökonomische Tätigkeit des Staates nicht mehr auf diese oder jene Seite, diese oder jene Phase des kapitalistischen Verwertungsprozesses, sondern erfaßt alle Phasen der Reproduktion; die ökonomische Tätigkeit des Staates erfolgt nicht mehr von Fall zu Fall, sondern permanent. … Eine wichtige Funktion besteht in der regulierten Entwertung v.a. nichtmonopolistischen Kapitals zur Sicherung der Monopolprofite und um der Überakkumulation entgegenzuwirken. … die wirtschaftliche Tätigkeit des Staates ist zu einem immanenten Faktor des Reproduktionsprozesses geworden, zu einem ökonomischen Faktor, ohne den der gesellschaftliche Reproduktionsprozeß nicht mehr vonstattengehen kann. … Das kapitalistische System insgesamt funktioniert nicht mehr ohne die immer umfassendere Aktivität des Staates.
Wobei die Besonderheit des Staates ist, "dass er als zentraler Bestandteil der Politik und des politischen Systems dem direkten Einfluß des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses unterliegt." Es besteht eine "relative Selbstständigkeit" des Staates gegenüber den ökonomischen Verhältnissen. Diese "relative Selbstständigkeit“ des Staates ist auch eine Voraussetzung dafür, dass er "im Gesamtinteresse des monopolistischen Kapitals regulierend in die Ökonomie eingreifen kann".