Pünktlich zur Eröffnung des Weltwirtschaftsforums in Davos schlug Gita Gopinath, die Chefökonomin des Internationalen Währungsfonds, den ökonomischen Grundton an: „zaghafte Stabilisierung, träge Erholung“ sagte sie, auch noch in Frageform, der Wirtschaftsentwicklung der nächsten Jahre voraus. Für die „entwickelten Volkswirtschaften“ soll das jährliche Wachstum 2020 und 2021 bei 1,6% liegen. Deutschland liegt mit 1,1 und 1,4% noch unter diesem Durchschnitt. Der Kapitalismus steckt in einer anhaltenden Stagnation. Und die Menschen wenden sich ab. Die US-Kommunikationsagentur Edelmann stellte in Davos das Ergebnis ihrer internationalen Umfragen vor, wonach überall, aber besonders in Deutschland, die BürgerInnen dabei sind, ihren Glauben an den Kapitalismus zu verlieren. Nur 12% der Deutschen glauben, dass der aktuelle Kapitalismus ihnen nützt, 55% dagegen sagen „er nützt uns nicht“.
Der Kapitalismus weist also erstens eine Leistungslücke auf und er zeigt zweitens eine dem Leistungsversagen entsprechende Legitimationslücke. Diese Lücken will Klaus Schwab, der Erfinder der Firma Davos WEF (Weltwirtschaftsforum), schließen. „Die Menschen“, sagt er, „revoltieren gegen die ökonomischen Eliten, von denen sie sich verraten fühlen, und unsere Anstrengungen, die Welterwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken, reichen auf gefährliche Weise zu kurz.“ Unverblümt will er die Umweltbewegung ins Boot holen und dankt dem „Greta Thunberg-Effekt“ dafür, dass er dem „Stakeholder Kapitalismus“ zusätzliches Gewicht verleihe. Der sei eine Erfindung von ihm (eine heftige Anmaßung), vor fünfzig Jahren schon im ersten „Davos Manifest“ formuliert, und erfordere, dass ein Unternehmen nicht nur die „shareholder“, die Aktionäre und ihren Profit, im Auge haben müsse, sondern alle Gruppen, die ihren Anteil („stake“) am Unternehmen hätten: Aktionäre, Belegschaften, Kunden, Zulieferer, Gemeinden, Gesellschaft. Und die stünden heute wie schon seit Jahren vor einem Hauptrisiko: Zerstörung der Umwelt.
Aus einem zur Konferenz des WEF vorgelegten Global Risks Report 2020 vorgelegten Bericht geht hervor, dass die ersten Plätze unter den globalen Risiken von den internationalen „stakeholder“ nicht mehr an „ökonomische Konfrontationen“ und „inländische politische Polarisiering“ vergeben werden, sondern an drohende Umweltschäden. Im Jahr 2020 gehen die ersten fünf Plätze an diesen Komplex, von „extremes Wetter“ bis zu „von Menschen verursachte Umweltschäden“. Alle Stakeholder müssten, so die Herausgeber, schnell zusammenstehen, „um die schlimmsten Ergebnisse aufzuhalten und Widerstandsfähigkeit quer durch Gemeinden und Unternehmen auszubilden“. Bürgerliche Medien feiern diesen neuen Geist von Davos als „Allianz aus Unternehmen und Umweltschützern“, als neue „grüne Front“.
Doch dann kam Trump. Er kanzelt die Umweltschützer als „Alarmisten“ ab und wiederholt sein Credo, mit noch mehr Wachstum werde die Welt „jede Herausforderung bewältigen“. Grünen-Parteichef Harbeck ist entsetzt. Trumps Rede sei ein „Desaster“ für die Konferenz. Harbeck hat aus seiner Sicht recht. „Aus Schwarz mach Grün“ überschrieb die Zeit ihren Davos-Bericht. Das will Harbeck sich nicht vermasseln lassen, dass die Industrie in Zukunft politisch unter grüner Flagge segelt, von einem US-Präsidenten, der in seinem Irrsinn die Wahrheit sagt. Dass nämlich den Wirtschaftslenkern im Zweifel die Rendite über die Umwelt geht. Am Flughafen Zürich kamen in der Davos-Woche 1500 Privatjets an. Unter den 3000 Teilnehmern des WEF-Forums befanden sich die Hauptverantwortlichen für die Umweltzerstörung. Zum Beispiel Larry Fink, der Chef des größten Vermögensverwalters der Welt, Herr über ein Anlagevermögen von über 6 Billionen Dollar, fast das Doppelte der gesamten Wirtschaftsleistung Deutschlands. Blackrock gehört zu den größten Aktionären von Chevron, Exxon Mobil und Royal Dutch Shell oder dem Kohlkonzern BHP Group und ist offiziell strategischer Partner des WEF. Diesen Titel tragen auch Goldman Sachs, JP Morgan Chase, Morgan Stanley und Konzerne der Realwirtschaft wie BP, Dow Chemicals, Nestlé oder Siemens. Zusammen mit den Konkurrenten Vanguard und State Street kontrolliert BlackRock Unternehmen, die für 38% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich sind. Sechs der 18 Vorstände von BlackRock waren zuvor Manager bei Firmen des Öl- und Gassektors. Das Weltwirtschaftsforum ist fundamentaler Teil des globalen Kapitals, das mit seiner Jagd auf Höchstprofite der entscheidende Verursacher der Umweltzerstörung.
Umso inniger die servile Liebedienerei, mit der WEF-Chef Schwab den US-Präsidenten begrüßte: „Sie haben sich um die Zusammenführung der amerikanischen Gesellschaft wahrlich verdient gemacht.“ Sagt die Davoser Hofschranze zum Herrn aus Washington, der mit seiner Steuerpolitik und seinen Pro-Unternehmensgesetzen die größte Polarisierung der US-Gesellschaft zwischen Arm und Reich seit je hergestellt hat. Seine Selbstbeweihräucherungsarie krönte Trump mit der Behauptung, erster Nutznießer des Wirtschaftswachstums in den USA seien die US-Arbeiter gewesen. Tatsächlich wuchs die Produktivität der Gesamtwirtschaft in den USA in den letzten fünf Jahren um sechs Prozent höher als die Stundenlöhne der Beschäftigten.
In demonstrativem Gegensatz zu Trump gab die deutsche Kanzlerin die verständige Partnerin der um die Zukunft besorgten Jugendlichen. Deren Ungeduld wolle sie „positiv und konstruktiv aufnehmen“. Für Frau Merkel gilt Greta Thunbergs Verdikt, von manchen Politikern höre man viel, ihre Praxis sei aber enttäuschend.
So sehr in Davos und anderswo unter dem Propaganda-Label „Grüner Kapitalismus“ auch geheuchelt wird, so wichtig ist dem großen Kapital die reale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft hin zu modernen Strukturen in seinem Interesse. So fordert das Davoser Forum für das Gebiet Ökologie, dass die Wirtschaft Antworten auf den Klimawandel findet und mit Maßnahmen zur Sicherung der Biodiversität auch wirklich die Wälder und die Ozeane erreicht; die Ökonomie solle die langfristigen Schulden abbauen und Wachstumsraten erzielen, die eine größere Inklusion erlauben; in der Technologie müsse eine globale Übereinkunft erzielt werden, wie die Vierte Industrielle Revolution – also auch Digitalisierung und Dekarbonisierung – durchgesetzt und ein „technologischer Krieg“ vermieden wird; vor der „Gesellschaft“ stünde die Aufgabe, dass eine Milliarde Menschen im nächsten Jahrzehnt umgeschult und besser ausgebildet werden; in der Geopolitik solle der „Geist von Davos“ Brücken bilden zur Überwindung von Konflikten, wobei man sofort mit informellen Treffen zur Versöhnung beginnen soll; in den Unternehmen müsse man, siehe oben, den wachsenden Erwartungen aller Stakeholder begegnen. Das Kapital braucht nicht nur grüne Propaganda, es braucht reale grüne Reformen, um neue Wirtschaftsfelder profitabel zu bewirtschaften.
Davos zeigt eines: Mit seinen bisherigen Methoden ist das Kapital am Ende. Aber es hat noch andere. Und da machen sicher mehr mit als die 12%, die heute noch den Kapitalismus nützlich finden. Der Kampf um die Köpfe hat in neuer Intensität begonnen.