Der größte Neujahrsknaller kam diesmal aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Die Altmaier-Behörde gab zu Beginn des Jahres bekannt, dass im Vorjahr (2019) von der Bundesregierung so viel Waffenexporte wie noch nie genehmigt wurden. Mit über acht Milliarden Euro (8,015 Mrd. Euro) um zwei Drittel (66,1 Prozent) mehr als im Jahr 2018 (4,824 Mrd.). Der bisherige Rekordwert betrug 7,86 Milliarden Euro im Jahr 2015. 32 Prozent entfielen auf Kriegswaffen, der Rest auf sonstige militärische Ausrüstung.
Fast ein Viertel der Exportgenehmigungen wurde für das NATO-Land Ungarn erteilt. Dessen rechtspopulistische und nationalistische Orban-Regierung rüstet derzeit massiv auf und will die Rüstungsausgaben verdoppeln.
Bei den Waffenlieferungen an die Türkei sind die Jahresendzahlen vom Wirtschaftsministerium noch nicht bekanntgegeben. Aber bereits in den ersten acht Monaten 2019 erhielt das NATO-Land Kriegswaffen für 250,4 Millionen Euro. Das war bereits zu diesem Zeitpunkt höchste Wert seit 2005. Schon 2018 machten die Waffenlieferungen an die Türkei fast ein Drittel aller deutschen Kriegswaffenexporte aus. Nach der Invasion der Türkei in die nordsyrischen Kurdengebiete hatte Außenminister Maas Mitte Oktober bekanntgegeben, dass keine Lieferungen mehr genehmigt würden, die in dem türkischen Angriffskrieg eingesetzt werden können. Andere Waffenexporte aber sind weiterhin erlaubt. Auch bereits genehmigte Geschäfte sind von dem Lieferstopp nicht betroffen. Nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI zählte Deutschland in den vergangenen zehn Jahren zu den fünf wichtigsten Waffenlieferanten der Türkei.
Besonders brisant sind die Genehmigungen für sogenannten Drittländer, die weder der EU noch der NATO angehören oder mit diesen gleichbehandelt werden (wie etwa Australien); sie stiegen im vergangenen Jahr um fast eine Milliarde Euro. Der Anteil dieser Ausfuhren am Gesamtvolumen betrug 44,1 Prozent.
Deutsche Waffen töten im Jemen
Unter den zehn wichtigsten Empfängerländern deutscher Rüstungsindustrie, befinden sich vier Länder aus der besonders konfliktreichen MENA-Region (Middle East/North Africa): Algerien, Ägypten, Vereinigte Arabische Emirate (VAR) und Katar. 2018 war Saudi-Arabien an der Spitze der Empfängerländer – 2019 wurden die deutschen Exporte dorthin wegen der Ermordung des regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi vorübergehend gestoppt. Alle diese Länder taten sich nicht nur wegen Menschenrechtsverstößen hervor, sondern auch wegen der Beteiligung an regionalen Konflikten und Kriegen. Ägypten und VAR beteiligten sich an der von Saudi-Arabien angeführten Kriegsallianz gegen die Huthi-Rebellen im Jemen (die VAR schied allerdings Mitte 2019 wegen Zerwürfnissen mit Saudi-Arabien aus der Allianz aus). Eurofighter (Airbus/BAE-Systems) werfen Bomben von Rheinmetall auf die Zivilbevölkerung in Sanaa und anderen Städten im Jemen. Patrouillenboote, 15 bereits von der Wolgast-Werft (Mecklenburg-Vorpommern) an Saudi-Arabien geliefert, verriegeln mit einer Seeblockade die jemenitische Küste und verhindern so, dass Lebensmittel und Medikamente in die Wüstenrepublik gelangen. Tausende Kinder sind verhungert oder an heilbaren Krankheiten gestorben. An der Seeblockade sind auch die ägyptischen U-Boote beteiligt, die von der Werft Thyssen/Krupp Marine Systems in Kiel an die Arabische Republik geliefert worden waren.
Von wegen „restriktive“ Rüstungsexport-Politik der Bundesregierung. „Fast jeder Antrag (auf Waffenexport – F.S.) ist ein Treffer, kommentiert Sevim Dagdelen, abrüstungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, die Zahlen aus dem Wirtschaftsministerium. „Wer einen Waffenexport beantragt, bekommt ihn genehmigt. Die Ablehnungsquote liegt unter einem Prozent. Das ist keine Genehmigungspraxis mehr, sondern eine Durchwinke-Praxis“. Und: „Diese dramatischen Zahlen zeigen, dass das ganze System der Exportkontrolle schlicht nicht funktioniert“, sagte sie und bekräftigt die Forderung der Linken nach einem Rüstungsexportverbot. Zwei Drittel der Deutschen lehnen Rüstungsexporte grundsätzlich ab.
Bundeskanzlerin Merkel ist da anderer Ansicht. Sie befürwortete die Bombengeschäfte als eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Bereits 2012 erklärte sie auf einer Bundeswehrtagung in Berlin: „Wer sich der Friedenssicherung verpflichtet fühlt, aber nicht überall in der Welt eine aktive Rolle in der Friedenssicherung übernehmen kann, der ist auch dazu aufgerufen, vertrauenswürdigen Partnern zu helfen, damit sie entsprechende Aufgaben übernehmen“. – Saudi-Arabien und die Türkei als „vertrauenswürdige Partner“ bei der „Friedenssicherung“!?
Den „Fabrikanten des Todes“ aber sind die deutschen Rüstungsexportregeln noch immer nicht hemmungslos genug. Armin Papperger, Boss des Kanonen-, Bomben- und Panzerbauers Rheinmetall forderte kategorisch: Exporthemmnisse und deutsche Sonderwege beim Waffen-export müssen aufhören“. Und Dirk Hoke, Chef der Airbus-Rüstungssparte (Airbus Defence & Space) begründete die Notwendigkeit hoher Rüstungsexporte: Sonst „könnten wir die hohen Entwicklungskosten nicht mehr auf genügend Exporte umlegen“.
Die absurde Logik: Je teurer die Entwicklungskosten immer absurderer Hochtechnologieprojekte der Rüstung (z.B. Future Combat Air System (FCAS) und Kampfpanzer Leo 3), umso höher müssen dann die Waffenexporte sein. In der Realität zahlt der deutsche (oder europäische Steuerzahler) ohnehin die sündteuren Entwicklungskosten, den Rüstungskonzerne aber kommt bei den Waffenexporten dann die höhere Gewinnspanne zugute. Und. Je größer die Dimension des inländischen (Inner-EU-) Rüstungsauftrages – FCAS (Deutschland/Frankreich) soll 500 Milliarden Euro kosten – desto größer der Druck seitens der Rüstungskonzerne, die dadurch aufgebauten zusätzlichen Kapazitäten anschließend mit Waffenexporten auslasten zu können. Eine Spirale nach oben ohne Ende. Die Rüstungsindustrie und ihre Lobby-Verbände drängen auf unbegrenzte Freigabe der Rüstungsexporte, etwa nach dem Muster Frankreichs. Und sie stoßen dabei bei den rechten Politikern auf zunehmen offene Ohren. Kanzlerin Merkel: „Man kann nicht von einer europäischen Armee und von einer gemeinsamen Rüstungspolitik oder Rüstungsentwicklung sprechen, wenn man nicht gleichzeitig auch bereit ist, eine gemeinsame Rüstungsexportpolitik zu machen“. Und sie stilisiert die Mords-Geschäfte gar zu einer Frage der abendländischen Kultur hoch: Zur Harmonisierung der Verteidigungspolitik brauche es eine „gemeinsame Kultur der Rüstungsexporte“.