Nein zu Kohle, Öl und Gas,
ja zu Uran aus Russland.
Als Reaktion auf Putins militärischen und politisch potentiell selbstzerstörerischen Überfall auf die Ukraine verhängten insbesondere Deutschland, aber auch die EU, die USA, der Westen insgesamt wirtschaftliche Sanktionen. Man will Russland "ruinieren", wie es Annalena Baerbock formulierte.

 

Ein zentraler Punkt war der Stopp der Einfuhr von Kohle, Öl und Gas – nicht dagegen von Uran: Ausgerechnet der Atomkonzern Rosatom erfreut sich ungestörter Geschäftsbeziehungen, liefert Uran an die Brennelementefabrik in Lingen und an Abnehmer in aller Welt, baut die Zusammenarbeit mit der französischen Framatome aus, spielt im AKW-Neubaugeschäft eine große Rolle.

Egal. Bei Kohle, Öl und Gas wurde auf EU-Ebene der schnellstmögliche Importstopp russischer Energieträger beschlossen. Bei Gas wurde die "Schnellstmöglichkeit" bekanntlich forciert: Nordstream 2 wurde nicht in Betrieb genommen; drei der vier Nordstream-Leitungen wurden vorsorglich von unseren Freunden gesprengt; russisches Gasangebot auf der noch lieferfähigen vierten Leitung wird von deutscher Seite schlicht ignoriert; die Gasleitung durch Polen hindurch wurde gleich zu Kriegsbeginn von polnischer Seite abgesperrt; die riesige Ukraineleitung wird von Deutschland aus boykottiert und soll zum Jahresende von ukrainischer Seite aus endgültig gesperrt werden (isw-spezial 36, S. 8; isw-spezial 37, S. 3).

In einer Marktwirtschaft hat das selbstverständlich Auswirkungen auf die Preise. Boykottiert man einen Teil des weltweiten Angebotes (und Russland steuert einen beträchtlichen Anteil bei), dann steigen die Preise: kurzfristig sehr stark, mittelfristig gemäßigter, denn zusätzlicher Raubbau an Bodenschätzen war im Kapitalismus auf Dauer noch nie ein Problem.

Sanktionsbedingte Mehrkosten für Energie in Deutschland

In den beiden Grafiken sind für die Öl- und die Gasimporte nach Deutschland die monatlichen Importpreise dargestellt in Euro pro MWh (eine MWh besteht aus knapp 100 Liter Öl bzw. knapp 100 m³ Gas). Es sind dies keine Börsenhandelspreise oder Preisnormen, sondern die aus der Außenhandelsstatistik berechneten tatsächlich gezahlten Preise an der deutschen Grenze. Öl und Gas werden von Deutschland nicht nur importiert, sondern – in kleineren Mengen – auch exportiert, z.B. nach Österreich oder in die Schweiz durchgeleitet. Das ist hier abgezogen, es sind die Kosten für das hierzulande netto verbleibende Öl und Gas dargestellt.

Aufgeführt sind, jeweils für Öl und Gas, der Dreijahres-Durchschnittspreis für 2019 bis 2021 (vor der Invasion) und die Preise für 2022 und 2023. Es wird sofort deutlich, dass die Preise im Zusammenhang mit den Sanktionen massiv gestiegen sind und in 2023 langsam sanken, aber weiterhin über dem früheren Niveau verharren. Beim Gas fällt die Extrem-Preisspitze im Sommer 2022 auf: Seitens der Regierung und der BNA wurde mit allen Kräften Panik geschürt, dass der Russe kein Gas mehr liefere (wie oben ausgeführt, war es in Wirklichkeit viel eher umgekehrt) und wir alle im kommenden Winter bitter frieren müssten (isw-spezial 37, S. 4). Das Habeck-Ministerium fiel auf die eigene Propaganda herein und kaufte zur schnelleren Füllung der Gasspeicher über eine staatseigene Gesellschaft jeden verfügbaren m³ Gas, egal was er noch kosten möge. Die Anbieter frohlockten, setzten die Preise auf das Zehnfache der bisherigen, und die Steuerzahler löhnten dafür viele Milliarden Euro Mehrkosten im Vergleich zu den bisherigen Weltmarktpreisen (isw-spezial 37, S. 9).

Es kommt noch hübscher: In der Panik wurde ein Gesetz erlassen, dass die Gasspeicher zum Winterbeginn voll gefüllt sein müssen. Da die Speicher ziemlich überdimensioniert sind, sind sie zum Winterende noch zu etwa zwei Dritteln voll – 2022/23 ebenso wie aktuell 2023/24, bei den derzeitigen Temperaturen braucht man bereits kaum mehr Speichergas. Das bedeutet, dass die Mehrkosten, um die Speicher proppenvoll zu kriegen, als unnütze Ausgabe, als totes Kapital im Speicher liegen, dass sie niemals im Leben rentabel an einen Käufer gebracht werden können.

Zurück zu den Preisstatistiken: Ich habe berechnet, wieviel das benötigte (netto importierte) Öl und Gas in 2022 und in 2023 gekostet hätte, wenn man es zu den Vor-Sanktionspreisen bekommen hätte, also zu Preisen, die im Schnitt 2019 bis 2021 gezahlt wurden. Vergleicht man das mit den tatsächlichen Importkosten, dann ergeben sich als Differenz die sanktionsbedingten Mehraufwendungen. Wobei das hier nur eine grobe Orientierungsgröße für die Sanktionskosten liefert. Für eine präzise Analyse müsste genauer nachgeforscht werden, wie sich die Preise ohne den Ukrainekrieg, also unter Beibehaltung der früheren politischen Verhältnisse und Marktlagen entwickelt hätten. Zumindest aber gelten die folgenden Werte, wenn man den Preisanstieg im Kern auf die Sanktionsbeschlüsse
zurückführt.

*) Kosten unter der Annahme, dass die durchschnittlichen Preise von 2019 bis 2021 gelten.

Es handelt sich um enorme Summen: 104 Mrd. Euro für Öl und Gas in beiden Jahren zusammen. Bei Kohle ist es weniger, aber immerhin 5 bis 10 Mrd. Euro. Zusammen also rund 110 Mrd. Euro zusätzlich ins Ausland abgeflossene Kosten für den Kauf von Kohle, Öl und Gas, bedingt durch die Sanktionspolitik. Dies ist die Bilanz nur für Deutschland.

Sanktionsgewinner

Man kann die Politik der USA-orientierten Länder (des "kollektiven Westens" nach Putin) als Gewinner bezeichnen, sie haben die Sanktionen durchgesetzt – für ihre Länder. Die realen Gewinner sind aber viel mehr die Energiekonzerne in Öl und Gas sowie die staatlichen Fördergesellschaften, etwa Aramco (Saudi-Arabien) oder der norwegische Staatsfonds für die Öl- und Gaserträge. Die 5 größten Ölkonzerne verbuchten 2022 laut SZ zusammen Rekordgewinne von rund 200 Mrd. Dollar. In 2023 lagen die Profite von 14 Öl- und Gaskonzernen nach Oxfam um 278 % über dem Durchschnitt 2018 bis 2021.

Als ganz wesentlicher Gewinner hier zu erwähnen ist die US-amerikanische Gaswirtschaft. Sie ersetzt in großem Stil das russische Pipeline-Gas. US-Gas ist heutzutage hauptsächlich Frackinggas, wird also unter ökologisch richtig üblen Bedingungen erzeugt, anschließend in einem extrem aufwendigen Verfahren verflüssigt (LNG) und in Schiffen nach Europa verbracht. Weiterhin als Gewinner sind zu nennen die Begleitwirtschaft für Förderausstattung, die Werften für den Neubau von Schiffen für verflüssigtes Gas, die Erbauer von neuen LNG-Häfen in USA (Verschiffung) und in Deutschland (Anlandung), letzteres in einem völlig überhöhten Ausmaß.

Auf einen besonderen Gewinner will ich speziell hinweisen: Putin. Die massiv gestiegenen Weltmarktpreise führen dazu, dass die russische Energiewirtschaft (Gazprom, Rosneft usw.) zwar mengenmäßig viel weniger exportiert, damit auch weniger Kosten hat, aber weitaus höhere Erlöse und Überschüsse einheimst als vor dem Krieg. Das heißt, wir finanzieren nicht nur die ukrainischen Kriegskosten, sondern aufgrund unserer Sanktionen indirekt auch die russischen Kriegskosten. Ohne diese Sanktionen hätte die russische Seite zweifellos viel mehr Probleme mit der Kriegsfinanzierung. Diese Sanktionspolitik bewirkt daher mehr die Verlängerung als die Eindämmung des Krieges.

Sanktionsverlierer

  1. Klima und Umwelt: US-LNG in Gaskraftwerken oder im Hausbrand zu verbrennen ist klimamäßig noch verheerender als das Verbrennen von Kohle. Mal ganz abgesehen von den Umweltsauereien beim Fracken (isw-spezial 36, S. 26; isw-spezial 37, S. 11).
  2. Die armen Länder im Süden: Die ersten konkreten Maßnahmen hierzulande waren, das LNG der USA den bisherigen Käufern wegzukaufen, sie zu überbieten. LNG-Schiffe haben auf dem Meer kehrt gemacht und sind nach Europa gefahren. Südasiatische Länder litten am meisten (isw-spezial 36, S. 23; isw-spezial 37, S. 11).
  3. Wer bezahlt die 110 Mrd. Euro? Die Mehrkosten verteuern den Konsum, und zwar ohne dass sie andererseits Einkommen von anderen Beschäftigten darstellen (wie z.B. Mehrkosten für klimaschonende Heizung oder E-Autos). Sie verschwinden als Extraprofite in den Förderländern und in den internationalen Konzernkassen. Die Mehrkosten werden faktisch von den Endkonsumenten bezahlt. Sie sind die zentrale Ursache für die Inflation und den realen Einkommensschwund der letzten beiden Jahre.
  4. Die zerstörten und stillgelegten Gaspipelines stellen riesige Verluste dar, zerstörtes Kapital und/oder totes Kapital. Die Ukraine erhielt in der Vergangenheit (auch noch heute während des Krieges) Durchleitungsgebühren von der Gazprom in Milliardenhöhe. Das fällt künftig weg. Man kann natürlich freilich sagen: Bei Kriegsschäden von vielen 100 Mrd. Euro kommt es auf diese paar Milliarden jährlich auch nicht mehr an.

 

Fazit: Die Kriegstreiberei zerstört alles

Jewgeni Jewtuschenkos berühmtes Gedicht "Meinst Du, die Russen wollen Krieg?" hat Putin eindeutig beantwortet und sich damit dem größeren Gegenspieler angenähert, der die Frage Krieg immer schon ausschließlich nach Macht- und Nützlichkeitsaspekten entschied.

Da stoßen die zwei führenden, jetzt aber absteigenden Groß- und Weltmächte aufeinander, von denen die eine auf Biegen und Brechen die günstige Gelegenheit nutzen will, um den alten Konkurrenten billig (kostet nur ukrainisches Blut) endlich klein und den Rücken frei zu kriegen für den neuen Kampf gegen China, während die andere absteigende Macht (von Obama als Mittelmacht und von Helmut Schmidt als Obervolta mit Atomraketen bezeichnet) um ihre Bedeutung kämpft und auch um den Preis einer Selbstzerstörung Weltmachtambitionen aufrecht erhalten will.

Die imperialen Bestrebungen der USA und die bedingungslose, auch gewalttätige Unterdrückung von jeglichem Widerstand dagegen: dieses grundlegende Motiv und dieses zielstrebig, systematisch, strategisch und taktisch jahrzehntelang verfolgte Ziel mündet angesichts der ebenso bedingungslosen Bereitschaft des heutigen Russlands für Krieg, Kriegsverbrechen, Annexionspolitik zwangsläufig in einen Krieg. Der wiederum mit Sanktionen, mit einer seit Jahrzehnten nie mehr gesehenen Hochrüstung und mit dem Aufbau eines kompromisslosen Feindbildes Russland & China (muss "ruiniert" werden) beantwortet wird – statt mit Gesprächen, Kontakten, Verhandlungen, Rüstungskontrollen, OSZE-Zusammenarbeit.

Um Klimazerstörung, Artensterben, Armut in der Welt, den zunehmenden Hunger brauchen wir uns bei dieser Konstellation jedenfalls nicht mehr zu kümmern: Dafür fehlen definitiv Geld und Motivation zur Zusammenarbeit.

 

isw-spezial 36: Wirtschaftskrieg, Gaskrise, Inflation, November 2022

isw-spezial 37: Gasmarkt + Strommarkt in Deutschland, Juni 2023

isw = Institut für sozialökologische Wirtschaftsforschung

 

 

Anmerkung: Obervolta ist der Kolonialname für das heutige Land Burkina Faso.