Am 24. April 2020 war klar, dass Covid-19 ein echtes Problem darstellt, und dass man diese Krise nicht mit kleinteiligen Antworten bearbeiten kann. Die Welt war gewarnt und die politischen Eliten sahen sich plötzlich gänzlich neuen Herausforderungen gegenüber. Nun waren neue Wege und ein neues Verständnis politischen Handelns gefragt.

Die Ursachen der Pandemie waren damals schon klar: das Überspringen eines Virus von Tieren auf den Menschen, also ein „zoonotischer“ Moment, bei dem ein Virus von einem Wirt (Fledermaus) auf einen anderen Wird (Mensch) überspringt. Das Überspringen des Virus ist kein Zufall, es ist das notwendige Ergebnis des Überschreitens der sog. „planetarischen Grenzen“. Wir sind inmitten der „Sechsten Ausrottung“, die fünfte war das Massensterben der Dinosaurier. Die Klimaerhitzung ist noch nicht mal die schlimmste der laufenden Katastrophen, es ist der massenhafte Aussterben von Arten – pro Tag verlieren wir 380 Tier- und Pflanzenarten. Seit den 1970er Jahren hat sich die Anzahl der Tierarten auf diesem Planeten halbiert. Sehen wir uns die Bedeutung des Menschen für die Natur an. Von den Wirbeltieren auf dem Festland macht der Mensch 32% aus. Weitere 65% der Biomasse sind ihm unterworfene Nutztiere (Rinder, Hühner etc.), und ganze drei (in Zahlen 3) % der Biomasse von Wirbeltieren auf dem Festland sind freie Wildtiere! Die Welt ist offensichtlich eine Fleischfabrik.

Im Film „Matrix“ gibt es einen berühmten Monolog eines Software Programmes, Agent Smith, in dem er erklärt, dass es nur ein Säugetier auf der Welt gäbe, dass sich immer weiter auf Kosten der Umwelt verbreiten würde, das wäre der Mensch. Und damit würde der Mensch dem Virus ähneln. Der Dialog ist vielsagend, weil die Drehbuchautorinnen implizit Rosa Luxemburgs Landnahme zitieren, aber leider Hollywood gerecht das Kapital, das sich ausbreiten muss gegen den Menschen ausgetauscht haben. Dies ist relevant festzuhalten für die weitere Diskussion. Der Begriff Anthropozän, so groß seine Vorteile sind, ist falsch. Wir leben im Kapitalozän, und in der fossilistischen Produktionsweise liegen die Probleme aber auch Lösungsmöglichkeiten.

Folgerichtig stellte die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen (VdL) bei einer Pressekonferenz fest: „Wir müssen einen Impfstoff entwickeln. Wir müssen ihn produzieren und ihn in jeden Winkel der Welt bringen. Und ihn zu erschwinglichen Preisen verfügbar machen“. Weiterhin fügte sie hinzu, dass dieser Impfstoff“ unser universelles, gemeinsames Gut“ sei.

Ursula von der Leyen erkannte zu Recht, dass es ohne eine schnelle und weltweite Anwendung von Impfstoffen keinen Ausweg geben wird. Anstelle von Monopolprofiten sei klar, dass die Impfstoffe ein „universelles, gemeinsames Gut“ der Menschheit seien. Diese Aussage wird etwas eingeschränkt, in dem klargemacht wird, dass es einen Preis für den Impfstoff geben müsse. Dieser jedoch müsse „erschwinglich“ sein. Die zentralen Punkte von Ursula von der Leyen Aussage sind also:

  1. wir benötigen einen Impfstoff, den wir herstellen, der weiterhin
  2. in ausreichenden Mengen hergestellt werden muss, der
  3. universell für jeden Menschen gleich zugängig sein muss, es also keinen ungerechtfertigten Ausschluss vom Zugang geben darf und als letztes, der
  4. von jedem Menschen bezahlt werden kann. Nach fast einem Jahr nach Ursula von der Leyen Rede ist es Zeit sich nun den Vollzug dieser vier Ankündigung der, unter deutscher Führung, handelnden Kommission einmal anzusehen.

Ursula von der Leyen: „Wir müssen einen Impfstoff entwickeln. Wir müssen ihn produzieren“

Von der Leyen sprach davon, dass „wir“ einen Impfstoff produzieren müssen. Nach einem Jahr wissen wir wen Ursula von der Leyen mit „wir“ ansprach: die Pharmaindustrie. Es hat sich gezeigt, dass es nicht wir als Gesellschaft sind, die sich in einem öffentlichen Diskurs darauf einigen, wie wir am besten universell verfügbare Impfstoffe für die ganze Welt (mit) produzieren. Nein, es sind v.a. die großen Pharmaunternehmen in Privatbesitz, die die Impfstoffe herstellen sollen. Bei einer Konferenz der Linksfraktion „The Left“ im Europäischen Parlament am 3. und 4. März sprach Yannis Natsis über diese Unternehmen.[1] Da sich die Europäische Kommission weigert die Verträge ungeschwärzt offenzulegen, können wir nicht genau wissen, was darin steht. Aber so viel ist nach Natsis Aussage klar: die KOM hat rechtlich keinerlei Handhabe gegenüber säumigen Produzenten, es gibt keine bindenden Lieferverpflichtungen, und somit auch keine Strafen. Die Pharmaindustrie hat fast auf ganzer Linie gewonnen. Tschechische Diplomaten ließen die Öffentlichkeit wissen, dass die Industrie entgegen ihrer PR-Äußerungen sehr wohl versucht hat, ihre Gewinne in den Geheimverhandlungen noch höher zu schrauben. Wir wissen auch nicht, wie die Industrie die Steuergelder verwenden wird. Es gibt keinerlei Verpflichtung für sie, die Verwendung der Mittel offen zu legen. Diese fehlende Transparenz finden wir auch im zentralen Bereich der Kosten für die Impfdosen wieder.

Es ist das Geheimnis wie die Preise für die einzelnen Dosen zustande kamen. Ganz abgesehen davon müsste die Europäische Kommission natürlich die Frage beantworten: warum müssen die Bürger:innen eigentlich zweimal zahlen: erst durch intransparente Direktzahlungen an Produzenten und dann nochmals für das dadurch erst ermöglichte Produkt? Natsis kommt zu dem Schluss, dass die Industrie „zero business risks“ hätte eingehen müssen. Damit ist klar, dass die Europäische Kommission keinen Ansatz der „Public Health“ (Öffentliche Gesundheitspflege) verfolgt.[2] Halten wir also bei der Frage wer die Impfstoffe produziert fest: die Europäische Kommission hat, mit Unterstützung der Mitgliedstaaten (so ausdrücklich der Marc Botenga, Abgeordneter des Europäischen Parlaments von der belgischen „Partei die Arbeit“, PTB), massive finanzielle Transfers an die Privatindustrie geleistet, ohne den Bürger:innen transparent darzulegen, was mit ihrem Geld geschieht. Anfang 2021 wissen wir nur so viel: wir haben zu wenige Impfstoffe, weil die Politik außer Geldzahlungen an Unternehmen nichts geleistet hat.

Wie ist es um die Produktion des Impfstoffs bestellt? Wer darf eigentlich produzieren?

Es ist deutlich geworden, dass die Europäische Kommission sich für die Interessen des europäischen Kapitals einsetzt. Rechnungen zeigen, dass bei dem jetzigen Tempo des Impfens die Menschheit erst 2024 einmal „durchgeimpft“ sein würde. Dies würde einem brutalen Versagen gleichkommen.

COVAX soll den Globalen Süden mit Impfstoffen versorgen – so sagen die westlichen Regierungen. Unter der Leitung kapitalistischer westlichen Regierungen wurde COVAX gegründet, um diesem Missstand entgegenzuwirken. COVAX soll dem Globalen Süden (GS) zu den nötigen Impfdosen verhelfen. Wie soll das geschehen? Das wichtigste was bei COVAX zu beachten gilt ist, dass es den Impfstoff nicht herstellt. COVAX ist geschaffen worden, um Impfdosen von Unternehmen aufzukaufen, und dann an bedürftige Staaten zu spenden. Während 70% der Bevölkerung des „Westens“ Ende 2021 geimpft sein sollen, werden nach Plänen von COVAX lediglich 3,3% der Bevölkerung des GS Ende 2021 geimpft sein. Bis zum 1. März 2021 waren weltweit 24,4 mio. Dosen verimpft, der übergroße Teil in nur zehn Ländern des Westens.

Während in Großbritannien die Impfungen am 8. Dezember 2020 begannen, bekam Ghana, eine ehemalige Kolonie der englischen Krone, als erstes Land des GS erst Ende Februar 2021 erste Impfdosen. Das bedeutet, dass COVAX die ersten Impfdosen mit einer Verzögerung von fast vollen drei Monate erst im GS begann auszuteilen – von universalem Zugang kann hier wenig gesprochen werden. Benny Kuruvilla zufolge waren Anfang März 2021 noch in der Hälfte der Staaten keine einzige Person geimpft, obwohl COVAX nach eigenem Anspruch 190 Länder abdecken will.[3]

Die einzelnen Aspekte, die COVAX zu einem solchen Fehler machen

Das wichtigste zuerst, und anhand eines kleinen Beispiels erläutert. Vor einigen Jahren verkündete Paul Mason das Heranwachsen einer neuen Gesellschaft, beruhend auf einer neuen Produktionsweise, die nicht mehr wie in der Vergangenheit durch Knappheit von Produkten gekennzeichnet sein würde, sondern vielmehr durch Überfluss zumindest strategischer Güter, basierend auf Daten und Software. Das Versagen von COVAX zeigt, dass wir sehr weit weg sind von einer solchen Mason’schen Gesellschaft. Im Gegenteil, das Hauptproblem ist der eklatante Mangel an realen Produkten die man mit Händen greifen kann, Produkten die man sich spritzen kann.

Das zentrale Problem von COVAX ist, dass es sich überhaupt nicht um die Produktion kümmert, sondern nur um den Vertrieb, bzw. das generöse Verschenken von Impfdosen. Welche Produkte kann COVAX denn in den GS senden? Nur jene, die der Globale Norden eben nicht benötigt. Nur die Brosamen, die vom Tisch der reichen Länder herabfallen, werden mit großem PR-Getöse in den GS gesendet.

Noch einmal: das ist nicht nur ein eklatanter Bruch mit der Ankündigung von der Leyens, dass der Impfstoff ein universelles Gut der Menschheit würde. Es ist selbst jenseits moralischer Erwägungen selbstmörderisch zu glauben, man könne sich entlang nationaler Grenzen schützen. Erst wenn der letzte Mensch geimpft und immun sein wird, wird Covid19 seinen Schrecken verlieren, keinen Tag früher. Die im Frühling 2021 bereits fröhliche Einstände feiernden Mutanten zeigen, wo die Reise hingeht, wenn der so gerne universalistische argumentierende Westen seine Politik nicht ändert. Die weltweite Produktion von Impfstoffen muss radikal hochgefahren werden. Warum passiert das nicht?

Geistiges Eigentum als das erste Hindernis für dringend notwendige erhöhte Produktion

Der wichtigste Grund sind zunächst sog. Eigentumsrechte (IPRs) für Patente. Carlos Correa zufolge zeigt eine Studie von 2012, dass es für die Herstellung von Masken sage und schreibe 1000 Patente gibt, die beachtet werden müssen.[4] Bei Impfstoffen sind es ihm zufolge sogar 11.000 Patentfamilien. Pfizer wird z.B. zurzeit (im März 2021) verklagt, weil es bei der Impfstoffforschung womöglich eine patentierte Molekularkette eines Konkurrenzunternehmens verwendet hat. IPRs werden weltweit durch das TRIPS Abkommen gesichert, einem internationalen Vertragssystem im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO).

Der Theorie nach sollen IPRs die Entwicklungskosten neuer Produkte wieder einspielen, und Anreize für Neuentwicklungen setzen. Warum aber erhalten im Falle der jetzt mit öffentlichen Geldern geförderte Unternehmen das Recht, dass sie die Ergebnisse der Forschung sich privat aneignen dürfen? Das kommt der Enteignung öffentlichen Wissens gleich. Die europäischen Bürger:innen wendeten 2,5 Mrd. Euro für die Forschung auf, und die US-Amerikaner:innen sogar 6,5 Mrd Dollar. Private Aneignung durch IPRs von öffentlich gefördertem Wissen kommt der Einhegung der Marx’schen Allmende gleich. Es muss klar sein: es dürfen in dieser Situation einer globalen Gesundheitskrise zum einen also keine geistigen Eigentumstitel aus öffentlich geförderter Forschung entstehen, zum anderen aber müssten auch bereits bestehende Eigentumstitel ausgesetzt werden. Aber auch hier wehren sich die alten westlichen Industriestaaten vehement dagegen.

Widerstand gegen die Enteignung öffentlichen Wissens

Es gibt Widerstand aus dem GS gegen IPRs. Costa Rica schlug einen globalen Innovationspool vor, in dem der technische Fortschritt gebündelt und ausgetauscht würde. Indien und Südafrika sind die führenden Nationen, die den Kampf um den sog. „TRIPS Waiver“ anführen. „Waiver“ heißt so viel wie „Außerkraftsetzung“. Das TRIPS Abkommen ermöglicht selbstverständlich eine Außerkraftsetzung gewährter Rechte – wenn es Notfälle wie globale Pandemien gibt. Eine solche Aussetzung beantragten Indien und Süd Afrika am 2. Oktober 2020, anfangs unterstützt von 57 Nationen, im März 2021 bereits von 119 Ländern und über 400 NGOs. Es tut sich auch etwas in der EU: immerhin 155 Abgeordnete des Europäischen Parlaments fordern die EU auf umzulenken. Das sind aber leider nicht einmal ein Viertel aller Abgeordneten.

Produktionswissen als weiteres Hindernis zum Hochfahren der Produktion

Die Berichterstattung fokussiert zurecht stark auf die IPRs, da diese das erste Hindernis sind beim Hochfahren der nötigen Produktion. Aber die Konferenz der Linksfraktion im EP zeigte leider deutlich: IPRs sind nicht das einzige Problem. Angenommen die Weltgemeinschaft würde die IPRs aussetzen, könnten Firmen im GS die Produktion trotzdem nicht so einfach hochfahren wie erhofft. Warum? Der zweite Haken sind „Geschäftsgeheimnisse“. Es geht also nicht nur um das „was“ der Herstellung (die IPRs), sondern auch um das „wie“ (Geschäftsgeheimnisse). Vor 20 Jahren gab es bereits bei den HIV-Medikamenten einen Aufstand gegen das globale Rechtssystem des Geistigen Eigentums. Damals zwangen Indien und Süd Afrika, in Kooperation mit Verbündeten in der Ersten Welt, Unternehmen dazu, ihnen Rechte zur Produktion billiger Generika zu überlassen. (Auch heute hat der GS Verbündete in der EU, z.B. das „Peng! Kollektiv“, das mit einer öffentlichkeitswirksamen Aktion auf die Tödlichkeit von Patenten hingewiesen hat.) Dimitri Eynikel erklärte dazu, dass die damals nötigen Medikamente aus vergleichsweise simplen Molekülen stammten, die gegen COVID19 nötigen Impfstoffe hingegen komplizierte biologische Produkte seien, die wesentlich schwerer herzustellen sein.[5] Das zeigt, dass es nicht reicht einfach die IPRs auszusetzen oder zu streichen. Was wir benötigen ist Technologietransfer.

Der Chiron-Plan als zentraler Anker zukünftiger EU-Politik

Am 11. Januar 2021 stellte von der Leyen fest, dass wir in einer neuen Zeit leben: der „Ära der Pandemien“. Aber was folgt daraus? Ein Teil der Antwort muss sein: technologische Fertigkeiten müssen auf der ganzen Welt verteilt etabliert werden. Wie das gehen könnte, soll im nächsten Abschnitt erörtert werden.

Zwei neue Vorschläge für europäische Industriepolitik im Pharmabereich - die belgische Partei der Arbeit und EPSU

Peter Mertens, Vorsitzender der belgischen Partei der Arbeit (PVDA/PTB), hat 2020 ein spannendes Buch über die Covid-Krise veröffentlicht.[6] In seinem Buch widmet sich Mertens auch der Frage, was nun genau in der EU getan werden müsste, um gegen die Mehrfachkrise in der EU vorzugehen. Mertens, nicht gerade angetan von dem Begriff „Green New Deal“, prägt einen neuen Begriff, mit dem er sein europäisches Reformprogramm bezeichnen will: den Prometheus Plan. Prometheus ist bekannt als Menschenfreund. Gegen den Willen der Götter brachte er den Menschen das Feuer und damit Selbstständigkeit. Mertens will die Grundlage für die Freiheit der Menschen im heutigen Europa stärken, und wählt dafür vier strategische Bereiche aus, die eine „öffentliche Vision zur Energie, zum Verkehr, zur digitalen Revolution und zur Gesundheit“ bringen sollen. In diesen Bereichen will Mertens „europäische Konsortien“ einrichten, die basierend auf einer gesamteuropäischen Industriepolitik gute Arbeitsplätze schaffen, und gleichzeitig die wirtschaftliche und ökologische Krise angehen soll. Mertens bezieht sich explizit auf das gesamteuropäische Projekt Airbus als Vorbild für seine realpolitische Alternative. Auch wenn Mertens zurecht auf große Probleme des gegenwärtigen Rechtsrahmens der EU verweist und weitgehende Veränderungen einklagt, zeigt er, dass im hier und heute der EU bereits drastische Änderungen möglich wären, um Produktionskapazitäten für Impfstoffe massiv hochzufahren.

Diese Analyse wurde von Penny Clark bei der Konferenz der Linksfraktion im Europäischen Parlament unterstützt.[7] Sie berief sich auf eine Stellungnahme des EGÖD (Europäischer Gewerkschaftsverband für den öffentlichen Dienst) zur „Pharmazeutischen Strategie für Europa“. Der EGÖD fordert in diesem Papier die Europäische Kommission auf gemeinnützige Pharmaunternehmen zu schaffen, die im öffentlichen Interesse tätig sein. Der EGÖD erwähnt die Beispiele internationaler öffentlicher Forschung in Europa: das CERN und das EMBL.[8]

UNCTADs Entwurf einer globalen Industriepolitik

Die beiden Forderungen unterstützen also den Ruf nach einer EU-weiten Industriepolitik, Peter Mertens implizit supranational innerhalb des EU-Rahmens, und EGÖD zwischenstaatlich, also auch mit Partnern aus anderen Weltregionen (und eben jenseits des hinderlichen EU-Rechtsrahmens). Für unsere Diskussion zur Frage wie die EU auf internationaler Ebene mit der Covid-Krise umgehen muss, reicht eine EU-weite Industriepolitik natürlich nicht aus.

Hier muss die globale Ebene in den Fokus kommen. Es gibt hier eine demokratische Institution, die großartige Vorarbeit in den letzten Jahren geleistet hat: die UNCTAD.[9] Die jährlichen „Trade and Development Reports“ leisten großartige Grundlagenarbeit für die Frage wie das Recht auf Entwicklung für jede Nation verwirklicht werden kann, gerade in Zeiten der beginnenden Klimakatastrophe. Im Jahr 2019 veröffentliche die UNCTAD gemeinsam mit dem Global Development Policy Centre der Universität Boston die sog. Genfer Prinzipien für einen Globalen Grünen New Deal. Hier wird dargelegt, wie die Industrie weltweilt so gestaltet werden kann, dass es zu einer Verstärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe kommen kann, die die Produktion vor Ort unterstützt.

2021 ist klar, dass es kein einfaches „reset“ für unsere Gesellschaften gibt. Wir benötigen beides: Ausweitung der Produktion in lebenswichtigen Sektoren, Schrumpfen in anderen (Militär wäre als erster zu nennen, aber auch fossile Industrie, etc.). Wir benötigen verstärkte intellektuelle Zusammenarbeit bei Forschung und leichteren Austausch von Forschungsergebnissen. Gleichzeitig benötigen wir weniger Transport von Gütern, diese müssen wegen der gerade beginnenden Klimakatastrophe sowieso verstärkt vor Ort hergestellt werden. In Hinsicht auf unsere Diskussion bedeutet das, dass wir eine globale Pharmaindustrie aufbauen müssen, die dezentral in allen Weltregionen vor Ort forschen und produzieren kann. Dies ist nicht nur moralisch geboten (siehe Ursula von der Leyen Universalismus Versprechen), sondern auch klug: denn die nächsten Pandemien werden im wahrsten Sinne des Wortes gerade in irgendwelchen Wäldern ausgebrütet. Gegen diese reale Gefahr hilft es nur sich breit aufzustellen mit Forschung und Produktion in allen Weltregionen.

Der oben erwähnte Prometheus hatte einen legendären Lehrer: Chiron, den Halbbruder des Zeus und der berühmteste und wohl auch freundlichste der Zentauren.[10] Man kann Chiron als den (Medizin)Lehrer vieler griechischer „Heroen“ bezeichnen. Ferdinand Moog weist darauf hin, dass Chiron seiner Zwienatur wegen auch als Heiler für Menschen und (!) Tiere bezeichnet wurde. Das wäre, so scheint mir, doch ein trefflicher Grund einen „Chiron-Plan“ aufzulegen, der ein global aufzubauendes Gesundheitsregime darstellt, das Mensch und Tier gleichermaßen schützt.


[1] Yannis Natsis arbeitet für die seit 28 Jahren in Brüssel tätige NGO European Public Health Alliance. [2] Siehe grundlegend: Hans Jochen Diesfeld (1989): Gesundheitsproblematik der Dritten Welt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt. [3] Benny Kuruvilla ist Leiter des Indien Büros von „Focus on the Global South“. [4] Carlos Correa ist Geschäftsführender Direktor des South Centers, eines der wichtigsten Think Tanks des GS und führend bei Fragen einer gerechteren Handelsordnung. [5] EU Advisor von Ärzte ohne Grenzen. [6] Peter Mertens (2020): Uns haben sie vergessen. Die werktätige Klasse, die Pflege und die Krise, die kommt, Verlag am Park, Berlin. Generell sei der deutschsprachige Newsletter der Partei sehr empfohlen, ein Vorbild für internationalem Austausch. [7] Penny Clarke ist Stellvertretende Generalsekretärin, Leiterin EU-Politik, Handel, Personalwesen der Europäische Föderation der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes (EGÖD). 8] „Europäische Organisation für Kernforschung“ (CERN, Conseil européen pour la recherche nucléaire) in Genf, und „Europäisches Laboratorium für Molekularbiologie“ in Heidelberg. Der EGÖD stellt fest: „Wenn die EU es sich leisten kann, eines der weltweit größten und angesehensten Zentren für wissenschaftliche Forschung im Bereich der Kernenergie zu schaffen, sollte sie auch in der Lage sein, ein Institut zu gründen, das sich auf die Erforschung von Medikamenten und Behandlungen für bestehende und zukünftige Krankheiten konzentriert“. [9] Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung, 1964 gegründet, Sitz in Genf. [10] F.P. Moog: Cheiron (Chiron), in: W. Gerabek et al. (2005): Enzyklopädie Medizingeschichte, Bd. 1, Walter de Gruyter, Berlin, S. 240.